Das tierische Gefühl, dem anderen eine mitzugeben

■ Detlef Zinke spielt mit „20 Verrückten“ um Mitternacht Rollstuhl-Eishockey. Das ist neu und eine Attraktion: Zum Spiel Deutschland–Estland werden am Samstag 3.000 Leute erwartet

Hannover (taz) – „Die 20 Verrückten muß man in Deutschland erst mal finden, die das machen“, meint Detlef Zinke. Er hat sie gefunden, eine Truppe, die sich an jedem Freitagabend in Hannover trifft. Aus Hamburg, München und anderen Teilen der Republik schwärmen sie über 500-Kilometer-Entfernungen ins Eisstadion Wedemark. Zu nachtschlafender Zeit, von 23 Uhr bis zwei Uhr nachts, spielen 17 meist querschnittsgelähmte Männer Eishockey. Nur um diese exotische Zeit ist die Eisbahn frei. Alle vier Wochen gibt es einen Workshop, dann stehen die Spieler Samstagmorgens um acht Uhr wieder auf dem Eis. Nur wirklich gut trainierte Sportler halten da mit: Pro Woche spult jeder Spieler seine 100 Kilometer mit dem Handybike ab, hinzu kommt das Training an rollstuhlfreundlichen Fitneßgeräten. Das ergibt einen Wochenendaufwand von gut 15 Stunden.

Der 17er-Kader ist eine eingeschworene Gemeinschaft. Zinke (41) hatte sich den harten Kern aus den Rollhockey-Teams herausgepickt, die er vor drei Jahren gegründet hatte. Dazu kamen beim Eishockey einige ehemalige Rollstuhlbasketballer, ein Fechter und vier Eishockeyverrückte ohne Handicap. Damals reizte ihn, der kurz zuvor durch einen Verkehrsunfall in den Rollstuhl kam, das Hockeyspiel. Basketball war ihm eine Spur zu langsam. Die Hannoveraner legten noch eins drauf und spritzten Wasser, um die Spielfläche besonders glatt zu machen.

Beim Eishockey der Rollis entspricht das Regelwerk dem der DEL, ebenso die Dynamik, die taktische Einstellung und die Schutzkleidung. Die Spielzeit ist in Drittel à 15 Minuten geteilt. Zwei weitere Unterschiede: Jeder Spieler führt zwei verkürzte Hockeyschläger, um sich fortzubewegen und um den Puck zu schlagen.

Der Schlitten ist eine Spezialanfertigung und kostet rund 1.500 Mark. Ohne Sponsoren läuft auch hier nichts. Im Medienzeitalter freuen sich Sportler natürlich über Zuschauerresonanz. Mehr noch: Beim Wort Zuschauer kriegen die Eishockey-Cracks geradezu leuchtende Augen. Rollstuhlbasketball lockt gerade einmal zwölf Zuschauer im Normalfall, beim Hockey sind es immerhin 50 Leute. In die Eishockey-Arena dagegen kommen sage und schreibe 2.000 Menschen. Die wollen es natürlich auch mal krachen sehen.

„Das ist schon ein tierisches Gefühl, wenn man wirklich mal einen mitgegeben hat“, schwärmt Zinke. Das hat mittlerweile auch die vier Teamspieler überzeugt, die kein Handicap haben. Sie waren anfangs sehr zögerlich bei der Deckungsarbeit. Seitdem ihre gelähmten Teamgefährten ihnen im Spiel munter eins auf die Mütze gaben, erzählt Zinke, hätten sich die Skrupel gelegt.

Allerdings bleiben heftige Karambolagen nicht aus. Zinke schaut auf seinen Teamgefährten André Paulsen, dessen Lähmung tiefer in der Wirbelsäule liegt als bei ihm. „Der ist fast noch Fußgänger. Hat der mal 'ne offene Stelle, dann heilt die schnell zu. Wenn mir was passiert, dann heilt das erst in zwei, drei Monaten zu.“ Den Hannoveraner hat das Fieber gepackt, bis zum Jahr 2000 will er einen geregelten Spielbetrieb bewerkstelligen. Dazu müßten zumindest sechs Vereine her. Ein Jahresetat von rund 170.000 Mark ist aber nicht von Pappe. Momentan veranstalten nur die Unerschrockenen in Hannover, Görlitz und Aachen ihre mitternächtlichen Eisprozessionen.

International betrachtet sind die deutschen Eishockey-Rollis Anfänger. Das erste Länderspiel fand im Februar dieses Jahres gegen die Niederlande statt – und endete 1:6. Weitere Ziele sind gesteckt: Im März will man bei der WM in Schweden dabeisein, danach bei den Paralympics in Japan gut abschneiden gegen die etablierten Teams aus Schweden, Norwegen, Finnland, Kanada und den USA. Zunächst aber trifft man diesen Samstag (18 Uhr) in Hannover auf Estland. Rund 3.000 Zuschauer werden erwartet. „Das wollen die Leute sehen“, sagt Deltef Zinke, „wenn einer gegen die Bande fährt, dann aufsteht und wieder weiterfährt.“ Gerd Michalek

Deutschland - Estland (6. Dezember) wird ausgetragen im Stadion: Am Freizeitpark in Wedemark- Mellendorf, über die A7, Abfahrt Mellendorf. Kontakt: Detlef Zinke (05102) 909 680