Wie die Welt in Rauch aufgeht

■ Die US-Zigarettenindustrie kann Hunderte Milliarden Entschädigung an die US-Behörden bezahlen. Der Export boomt

Die Kokainbosse von Cali und Medellin? Können Sie vergessen: Das sind kleine Fische! Der Welt größtes Drogenkartell sitzt nicht in Kolumbien und nicht in Mexiko, sondern in den USA, die Ware ist nicht Kokain, sondern – Tabak. Trotz des Tabakdeals vom Sommer in Amerika erfreute sich dieses Kartell bei der Eroberung neuer Märkte der Unterstützung des US-Handelsbeauftragten.

Das weltumspannende Reich von König Tabak ist nicht neu, und die globale Strategie amerikanischer Tabakkonzerne ist der Hintergrund, vor dem deren milliardenschwere Zahlungen an US- Bundesstaaten (368 Milliarden Dollar) überhaupt möglich sind. Schon 1889 griff sich laut einer Anekdote James Duke einen Atlas. Der amerikanische Begründer des heute zweitgrößten Zigaretten- Imperiums der Welt, des British American Tobacco (BAT), ließ die Karten unbeachtet. Nur die Bevölkerungszahlen interessierten ihn. Bei der Zahl 430.000.000 hörte er zu blättern auf. „Hier werden wir Zigaretten verkaufen“, wandte er sich an seine Mitarbeiter. Mit „hier“ war China gemeint.

Zwischen 1830 und 1930 durchdrang BAT den chinesischen Markt und verdrängte 20 einheimische Firmen. In jüngerer Zeit erinnert sich die Zigarettenindustrie ihres Pioniers. „Chinas Marktpotential übersteigt unser Fassungsvermögen“, meinte vor zehn Jahren Rene Scull, damals Vizepräsident von Philip Morris Asien im Fachblatt World Tobacco.

Heute rauchen in China 61 Prozent der männlichen und 7 Prozent der weiblichen Bevölkerung, zusammen sind das 300 Millionen Raucher, mehr Menschen, als in den USA leben. Die Auswirkungen sind verheerend: Richard Peto, ein Epidemiologe aus Oxford, sagte Anfang der 90er Jahre voraus, daß von allen jugendlichen Chinesen 50 Millionen an Raucherkrankheiten sterben würden. Diese Zahlen müssen inzwischen stark nach oben korrigiert werden, denn Frauen und Kinder stellen ein riesiges Marktpotential dar: In Hongkong rauchen 8 Prozent aller 8- bis 11jährigen.

Zigarettenabhängigkeit ist heute eine weltweite Epidemie von historisch unerreichtem Ausmaß. Nach Zahlen, die das World Watch Institute Ende Juni veröffentlichte, werden jährlich 5,5 Billionen Zigaretten gedreht, das sind 1.000 Zigaretten für jeden Menschen. Die gesundheitlichen Auswirkungen auf die Weltbevölkerung berechnete Richard Peto: 1995 starben 3 Millionen Menschen an Raucherkrankheiten, eine Million davon in Entwicklungsländern. Im Jahre 2025 werden es weltweit und jährlich 10 Millionen sein, 7 Millionen davon in Entwicklungsländern.

Wenn der Trend anhält, werden nach Berechnungen der Weltbank innerhalb der nächsten 25 Jahre Raucherkrankheiten mehr Menschen dahinraffen als alle ansteckenden Krankheiten zusammengenommen. Weltweit verschlingen die medizinischen Kosten heute schon jährlich 200 Milliarden Dollar, ein Drittel dieser Kosten werden von Entwicklungsländern aufgebracht.

Die Weltbank hat zusammen mit der amerikanischen Entwicklungsbehörde (USAID) und anderen Entwicklungsorganisationen 1995 Tabakproduktion und -konsum als Ursache für Armut und als Hindernis einer nachhaltigen Entwicklung gebrandmarkt. Außer den medizinischen Kosten, die Tabak verursacht, belegt das Kraut Anbauflächen für Nahrungsmittel und verschlingt knappe Ressourcen für Tabaksubventionen.

All das hat den US-amerikanischen Handelsbeauftragten nicht daran gehindert, wiederholt zu intervenieren und freie Märkte für amerikanische Zigaretten zu fordern. Zwischen 1984 und 1996 sprang der Exportanteil an der amerikanischen Zigarettenproduktion von 8 auf 33 Prozent. Amerikanische Tabakkonzerne exportieren in großen Mengen Tabak just in jene Länder, deren Kokain-Exporte in die USA sie mit aufwendigen Aktionen zu verhindern suchen – und das, obwohl in den USA vierzigmal mehr Menschen an Tabak sterben als an illegalen Drogen: 432.000 Menschen jährlich – mehr Amerikaner, als im Vietnamkrieg fielen. Peter Tautfest