Schneckenkiller TBT ist nicht zu bändigen

■ Bremen weiß nicht, wohin mit giftigem Hafenschlamm / Baggergut zehntausendfach höher belastet als diskutierte Grenzwerte / Entsorgungskonzept gesucht / Deponieflächen sind reserviert

Der Bremerhavener Hafenamtsleiter, Hinrich Gravert, sitzt auf 100.000 bis 200.000 Tonnen verseuchtem Hafenschlamm und weiß nicht weiter. Gern würde er den Dreck – wie bisher – ins Wattenmeer kippen. Doch die Bezirksregierung Lüneburg sagt: „Nein.“Die Zeit drängt. Im Frühjahr muß der mit Tributylzinn (TBT) vergiftete Schlamm aus dem Hafen – sonst bleiben große Schiffe stecken.

Auf dem Jahrestreffen der Umweltminister aller Nordatlantikanrainer wurde gerade die Giftigkeit von TBT bestätigt. Dort wurden Grenzwerte von 0,005 bis 0,05 Mikrogramm TBT pro Kilogramm Trockensediment als zumutbar diskutiert. In Bremerhaven ist der Schlamm aber mit über 400 Mikrogramm TBT belastet. An sogenannten „hot spots“, das sind einzelne Stellen vor den Werften, die als Haupteinträger von TBT gelten, sind Werte von über 10.000 Mikrogramm gemessen worden, das Zehntausendfache des diskutierten Grenzwertes. Obwohl die Hafenbehörde die Bremerhavener Daten geheimhalten will, sind diese Zahlen jetzt durchgesickert.

Nach neuesten Berechnungen des Hamburger Meeresforschungsinstituts Limnomar reichen 20 Mikrogramm TBT pro Kilo Sediment aus, um den Hormonhaushalt von kleinen Meerestieren durcheinanderzubringen.

Schuld an der Vergiftung der Meere sind TBT-haltige Schiffsfarben. Sie geben permanent Gift ab, um Algen und Muscheln von Schiffsböden fernzuhalten. Als Problem erkannt wurde TBT vor gut zehn Jahren. Mangels Fortpflanzung brachen die französischen und japanischen Austernzuchten zusammen. An der Nordseeküste wurden Veränderungen an Muschelpanzern festgestellt. Die Wellhornschnecke gilt wegen TBT als ausgestorben.

In Bremerhaven wird fieberhaft an einem Entsorgungskonzept für den Hafenschlamm gearbeitet. Eigentlich sollten auch Umweltverbände mitarbeiten, doch die lud die Umweltsenatorin wieder aus. „Wenn wir das Konzept nicht akzeptieren, gibt es Ärger“, kommentiert Jürgen Ritterhoff von der Aktionskonferenz Nordsee den Ausschluß.

Bislang sieht das Entsorgungskonzept folgende Möglichkeiten vor: Der TBT-Eintrag durch Werften soll durch neue Filteranlagen reduziert werden; durch zusätzliche Bewässerung des Hafens soll Sediment verringert werden, der verbleibende Giftschlamm soll zu Ziegeln verarbeitet werden. Schwachstellen des Konzeptes sind unter anderem die ohnehin klammen Werften, etwa Schichau Seebeck und Lloyd. Sie müßten zweistellige Millionenbeträge in neue Filteranlagen investieren. Eine Verarbeitung des Schlamms zu Ziegeln, so sie überhaupt verkaufbar sind, ist teuer und setzt den Bau einer Ziegelei als Sondermüllverbrennungsanlage voraus. Im Hafenschlamm sind auch Schwermetalle.

Welche Lösung auch gefunden wird, sie greift nicht sofort. Was also macht man mit dem Schlamm ab April nächsten Jahres? „Da ist in der Tat eine Lücke“, sagt Hafenamtsleiter Gravert und windet sich um den heißen Schlamm: „Wir haben uns Deponieflächen in Seehausen reserviert.“Was der Transport des Schlamms von Bremerhaven nach Seehausen kosten würde, weiß niemand. „Die Umweltbehörde steht einer Deponierung äußerst skeptisch gegenüber“, warnt Ressortsprecher Holger Bruns.

Also doch verklappen? „Die Bremerhavener haben zugesagt, sie verklappen nicht. Wir haben zugesagt, bei einem konsistenten Ent-sorgungskonzept nicht nur den Naturschutz, sondern auch die Belange der Häfen zu berücksichtigen“, seufzt Bernhard Knollmann von der Bezirksregierung Lüneburg. Experten meinen darum: Als letzte Rettung für Bremerhaven könnte eine kurzfristige Verklappungserlaubnis kommen. T. Schumacher