Rambo-Typen brauchen wir hier nicht

Sport, Sehtest und Besinnungsaufsatz – bei den Eignungsprüfungen für zukünftige Zeitsoldaten versucht die Bundeswehr, rechte Jungs gleich auszusieben. Doch auch die Prüfer wissen: Einige kommen immer durch  ■ Aus Berlin Constanze von Bullion

Die Fingerknöchel sind weiß vom vielen Kneten. Robert schnappt nach Luft. Eben hat der 16jährige Schüler aus Neubrandenburg den gefürchteten „Psychotest“ absolviert. Nach den Schulnoten, nach seinen Eltern und nach den Kumpels haben die Herren hinter dem Schreibtisch ihn gefragt. Jetzt kauert der blasse Jüngling im Gang neben einer fest verschlossenen Tür und starrt in den Teppichboden. „Schlimm“, stößt er zwischen den Zähnen hervor. „Schlimm wäre das, wenn die mich nicht nehmen.“

Die, das sind die Männer mit den hellblauen Oberhemden und den Rangabzeichen auf der Schulter. Die Eignungsprüfer der Bundeswehr schleusen jedes Jahr etwa 10.500 junge Männer durch das Zentrum für Nachwuchsgewinnung Ost, einem schmucklosen Kasten mitten im idyllischen Berliner Vorort Grünau. Wer sich hier bewirbt, ist Bürger der neuen Bundesländer und will Unteroffizier oder Zeitsoldat werden. Ordentliche junge Menschen rücken jeden Morgen in der umgerüsteten NVA-Schule ein. Ob sie als Berufssoldaten taugen, ist allerdings die Frage.

„Wir können hier keine Rambo-Typen brauchen“, versichert Oberstleutnant Folker Spangenberg, dessen Dienstzimmer mit einem ganzen Bataillon hölzerner Verbandsabzeichen dekoriert ist. „Was wir suchen sind Männer, die charakterlich geeignet sind für Führungsaufgaben in der Truppe.“ Und nur jeder dritte Antragsteller besteht die Tests. Wer hier auf Hirn und Nieren geprüft wird, ist oft keine 16 Jahre alt und darf nur mit Muttis Erlaubnis vorsprechen. Kein Wunder, meint Spangenberg, daß etliche noch „ziemlich verwaschene Vorstellungen von soldatischen Fähigkeiten“ haben.

Der Oberstleutnant kann die Tugenden des „guten Feldsoldaten“ wie ein Uhrwerk herunterschnarren. Ordnung steht an erster Stelle. Dann Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, „Verantwortlichkeit für die gesamte Situation“. Und Gehorsam natürlich. Irgendwas vergessen? Die Sache mit dem demokratischen Grundverständnis vielleicht? Sicher, legt er nach, ein guter Soldat müsse „das Gemeinwohl im Auge haben“. Aber daß in der Truppe „solche Dinger gedreht worden“ seien, das habe ihn „schon überrascht“.

Die „Dinger“ häufen sich. Erst Hammelburg, dann Schneeberg in Sachsen und jetzt jene Unteroffiziers-Party in der Franz-Josef- Strauß Kaserne unter Reichskriegsflagge und Führerbild: Man hat sich schon fast an die Bilder gewöhnt, wo Bundeswehrsoldaten den Hitlergruß üben, wo eine imaginäre Frau vergewaltigt oder per Kopfschuß hingerichtet wird. Daß auch das Führungspersonal ungestraft Judenwitze reißen soll und derzeit gegen mehrere Offiziere ermittelt wird, will Oberstleutnant Spangenberg „nicht als Dummen- Jungen-Streich abtun“. Daß aber die Truppe in allen Bereichen aufräumen muß mit rechtem Gedankengut, weist er von sich. „Nein“, meint er entschieden, „das würde eine ganze Menge Leute nach unten reißen.“ Keiner der Videohelden habe seine Prüfstelle durchlaufen.

Schadensbegrenzung ist angesagt. In Berlin-Grünau gibt es anderes zu tun. In der Turnhalle etwa, bei Oberfeldwebel Honke: Der Chef hält große Stücke auf gestählte Körper. „Wenn da so eine dickbäuchige Tonne rumläuft und immer als letztes ankommt, dann ist der in der Truppe ganz schnell außen weg“, sagt er und zeigt auf drei schlaksige Jungs, die keuchend ihren Pendellauf absolvieren. „Die müssen sich behaupten können“, heißt es, „das ist nun mal das Phänomen des Militärischen.“ Für ihn sei Sport „das schlimmste“, verrät Marco aus Frankfurt (Oder) später in der Umkleidekabine. Was er beim Bund suche, sei „Zusammenhalt, Kameradschaft und Vertrauen“.

Mittagessen in der Kantine, es gibt Soljanka und Curryhuhn. Schmeckt gar nicht mal übel, das Zeug. Aber Marcel, Andres und Jurko bleiben die Bissen im Hals stecken. Die drei sind durchgerasselt. Marcel wollte „weg von der Straße“. Aber das allein reichte den Prüfern nicht. Andres hatte auf einen Ausbildungsplatz spekuliert. Alles Essig – zu schlechte Schulnoten. Jurko, der 15jährige Realschüler mit Zopffrisur, „wollte was fürs Land tun“ und bewarb sich, „weil hier das Geld am sichersten ist“. In seinem Aufsatz aber schrieb er: „Krieg ist eine primitive Art der Konfliktlösung.“ Das war's dann wohl.

Illusionen über ihre Zukunft machen sich hier die wenigsten, Illusionen über die Bundeswehr fast alle. „Die denken, sie können Kfz- Mechaniker werden“, sagt Spangenberg, „aber das ist nur die halbe Wahrheit.“ Mindestens ein Realschulabschluß ist nötig für die soldatische Laufbahn, viele bringen eine Berufsausbildung mit. Mit dem Schreiben und Rechnen hapert's trotzdem oft. „Wenn ein Unteroffizier in jedem Satz fünf Rechtschreibfehler hat, dann liegen hinter ihm zehn Mann am Boden und biegen sich vor Lachen“, weiß er, „das steht der nicht durch“.

Das Wort „Bundespräsident“ habe seinen Schützlingen früher große Schwierigkeiten gemacht, bestätigt Herr Jäger, „weil das in der DDR so gut wie nie gebraucht wurde.“ Der ausgemusterte Sportlehrer mit dem thüringischen Tonfall überwacht die Jungs, die beim Eignungstest über Computern brüten. Sieben Noten gibt es hier, eine 5 gilt schon als „positives Ergebnis“. Rund 200 mathematische, logische und sprachliche Aufgaben müssen in einer Stunde gelöst werden, per Kreuzchen wird über die „geistige Eignung“ der Anwärter befunden.

Marko aus dem mecklenburgischen Löcknitz sitzt gerade beim Sehtest, die Augen sind in Ordnung, dafür fällt das Sprechen schwer. „Das ist nicht so einseitig – und wegen dem Mechanischen“, so begründet er stockend seinen Plan, bei der Bundeswehr eine Kfz-Lehre anzutreten und sich danach für vier Jahre zu verpflichten. Die Eltern finden's gut, „erstmal arbeiten“ ist die Devise. Marko wollte eigentlich „Polizeivollzugsbeamter werden“. Da muß man „für Gerechtigkeit“ sorgen und „zupacken, aber nicht so hart“. Angst hat der Knabe nur vor einem: vor dem Aufsatz heute nachmittag.

Längst hat sich herumgesprochen, daß man beim Besinnungsaufsatz nicht patzen darf. Der Test auf die gesellschaftliche Reife soll helfen, linke Spinner oder rechte Schläger aufzuspüren. Ob das Verfahren taugt, um Verfassungsfeinde fernzuhalten, bezweifeln allerdings auch die Prüfer. Sicher, einzelne Bewerber machen das Aussieben leicht. Weil sie sich bei der Truppe unter ihresgleichen wähnen, prahlen sie ungeniert mit tätowierten SS-Runen auf dem Oberarm, erzählen vom „Türkenklatschen“ oder vom Baseballschläger im Gepäck. Fixer anfiesen, Penner plattmachen, Schwule verhauen, das empfiehlt so mancher Prüfling unbekümmert in seinem Aufsatz – und fliegt raus. Wer etwas klüger ist, wählt das Thema Fußball, schwadroniert aber womöglich schon im dritten Satz über den „Kampf von Mann gegen Mann“. Schlauere Bewerber, die ihre Gesinnung verbergen, schreiben über den „Führerschein auf Probe“. Und kommen anstandslos durch die Prüfung.

„Es gehört eine riesige Portion Glück dazu, überhaupt Extremisten herauszuziehen. Die Intelligenten kann man so gut wie gar nicht erwischen“, gibt Michael Reinicke zu. Der Dezernatsleiter im Psychologischen Dienst weiß nur von 17 Kandidaten in diesem Jahr, die wegen Zweifeln an ihrer Verfassungstreue abgelehnt wurden. Ein „Satanist“ war dabei. Ein „Linker, der in seiner Band Lieder gespielt hat, die zum Aufruhr angehalten haben“. Alle übrigen Problemfälle gehörten der braunen Fraktion an.

15 Rechte also unter 10.500 Bewerbern? Paradiesische Zustände müßten in der Bundeswehr herrschen, entspräche das der Realität. Daß dem nicht so ist, weiß auch Reinicke. Der Bayer im zivilen Flanellhemd weist nachdrücklich darauf hin, daß die bösen Buben aus Schneeberg fast alle aus den Reihen der Wehrpflichtigen stammten. Daß aber auch bei den zukünftigen Berufssoldaten in Grünau „mal einer durchrutscht“, gehöre zu den Dingen, die ihn „am meisten drücken“. Die Herren mit den Schulterklappen sind vorsichtig geworden. Sie sind klug genug, einzelne Mißstände aufzuzeigen, um das große Ganze aus der Schußlinie zu nehmen. Männer wie Reinicke freilich wissen auch, wie schmal der Grat sein kann zwischen dem Auftreten „schlechter“ und dem „guter“ Soldaten. Zwischen einem, der auch mit der Hakenkreuzbinde am Arm marschieren würde und Leuten, die – wie er selbst – das Bild von der Truppe aufpolieren.

Der Psychologe schiebt einen Aktenordner über den Tisch. Positive und verdächtige Eigenschaften eines Bewerbers sind da aufgeschrieben. „Solides Nationalbewußtsein“ steht bei den erwünschten Eigenschaften, „auffallend ausgeprägtes Nationalbewußtsein“ bei den unerwünschten. Ein guter Kandidat, heißt es, „bekennt sich zum Grundgesetz“. Ein verdächtiger „zitiert demonstrativ das Grundgesetz“. Sie sehen sich eben zum Verwechseln ähnlich, die nützlichen Mitglieder der Truppe und ihre gefährlichsten Feinde.

Ein paar Türen weiter, vor einem Schreibtisch und zwei Herren in hellblauen Oberhemden, schwitzt Christian aus Berlin im Prüfungsgespräch. Eine halbe Stunde dauert das Fragengewitter. Viel Zeit ist das nicht. Denn der 17jährige Dachdecker braucht einen Moment, bis er Vertrauen faßt zu dem rundlichen Gesicht von Frank Schäfer, der ihm auf den Zahn fühlt. „Politische Fragen sind unzulässig“, sagt der Diplompsychologe, „wir sind ja keine Gesinnungsschnüffler“.

Schäfer, der zu DDR-Zeiten „klinisch gearbeitet“ hat, kennt keine Parteien, wenn es um den Ruf zu den Fahnen geht. Bei Rechten und Linken sei die Einstellung zur Gewalt „oft deckungsgleich“, meint er. Will er potentielle Randalierer enttarnen, setzt er auf psychologische Tricks. „Kommt es zur Schlüsselsituation“, sagt Schäfer, „dann sagen gewaltbereite Leute letztendlich alle, was los ist“.

Manchmal allerdings, da geht auch Frank Schäfer mit einem „ganz unruhigen Gefühl“ nach Hause. „Wenn wir nicht beweisen können, daß es gute Gründe für eine Ablehnung gibt, müssen wir einen Kandidaten nehmen“, weiß er, „das ist natürlich nicht angenehm“. Nicht nur Schäfer wünscht sich deshalb ein „intensiveres Gespräch“. Schon standardisierte Persönlichkeitstests könnten mehr leisten als eine 30minütige Befragung. Aber: Kein Geld, kein Personal, heißt es in Grünau. Kein Interesse vielleicht auch, die zackigen Eiferer von rechts wirklich alle heimzuschicken?

Robert aus Neubrandenburg will nicht nach Hause. Er wartet draußen vor der Tür, knetet seine Knöchel und denkt nur eines: „Wenn sie jetzt sagen würden, okay, Sie können anfangen, das wäre das schönste.“ Wenige Minuten später sagen sie okay. Robert schüttelt die Spannung ab wie ein nasser Hund. Die nächsten 12 Jahre sind im Kasten.