„Früher war alles besser“

■ Wenn Jugendhelden die Gesichter blau anlaufen lassen: Zuviel Rock von Stiff & Co

Es wäre so einfach gewesen, einen Skinhead wie Simon am Donnerstag abend in der Kesselhalle des Schlachthof zufrieden zu stellen: „Meinetwegen sollen die eine Stunde lang nur ,Tin Soldiers' spielen. Was anderes will ich gar nicht hören.“Doch den Gefallen tat ihm die Uralt-Punkband Stiff Little Fingers im Jahre vier ihrer Wiedervereinigung nicht.

Statt dessen folgte der Auftritt der englischen Oldtimer dem formellen Aufbau eines Stephen King-Buchs: Am Anfang und am Ende war die Welt in Ordnung und in der Mitte war es ganz, ganz furchtbar. Die Band, die immerhin 1979 mit „Hanx“die beste Live-LP aller Zeiten aufgenommen hat, startete im dicht besetzten Konzertsaal mit eigenen Klassikern aus der goldenen Ära des Punk. Die englischen Ur-Punk-Heroen brauchten nur ein, zwei sattsam bekannte Takte anzuspielen, um den Mob auf ihrer Seite zu haben. Ein Pogo-tanzendes Knäuel von nostalgischen Dreißigjährigen balgte sich sofort vor der Bühne. Lederjacke rieb sich an Bomberjacke, Glatzen-Schädel und ausladende Spike-Frisuren wippten hin und her, Fäuste wurden gereckt und das Bier literweise verspritzt. Ihren alten Stoff brachten die Fingers so erstklassig energisch, schnell und dreckig rüber, als sei niemand auf der Bühne mittlerweile 20 Jahre älter geworden.

Nach vier Punk-Oldies aber war der Pogo-Spuk vorbei. Menschlich ist das verständlich: Gitarrist und Sänger Jake Burns, das letzte Originalmitglied der Band, war schon bei der Bandgründung 1978 in den Zwanzigern. Inzwischen hat der Mitt-Vierziger seine Liebe zur traditionellen irischen Musik und zu erdigem Rock entdeckt. Daß er allerdings diese Vorliebe auch öffentlich ausleben wollte, war der Grund für die schnell schwindende Euphorie. Weil man einen Helden seiner Jugendtage nicht beschimpfen mag, blieb immerhin freundlicher Applaus nach jeder stumpfen Rockriffattacke und jedem ellenlangen Gitarrensolo. Daß auch bei den grauseligen AC/DC-Imitaten die kompositorische Klasse des alten Herren durchklang, interessierte herzlich wenig. Fazit von Alt-Punk und Comiczeichner Maura: „Früher war alles besser. Zumindest bei Punk-Konzerten.“

Weil aber eine glückliche Fügung es wollte, daß die Hochschule Bremen an jenem Abend ihren Ausstand im Schlachthof-Magazinkeller feierte, wurde der Abend dennoch für die vielen Konzertbesucher ein Ereignis. Wer bereit war, mit blauer Schminke im Gesicht seine Solidarität zu bekunden, bekam das Bier zum Billig-Preis. Und da den meisten Punkern egal ist, ob nun auch noch blaue Farbe im Gesicht sie verunziert, tummelten sich gegen Konzertende reihenweise völlig stramme, blaugemalte Punker am Bühnenrand, die zum Schluß doch noch mit Hits aus der guten alten Zeit für ihr Warten entlohnt wurde. Lars Reppesgaard