EU-Werbeverbot: HB-Männchen raucht vor Wut

■ Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer denkt über zivilen Ungehorsam gegen EU-Werbeverbot für Zigaretten nach. Zigarettenindustrie droht mit Klage

Brüssel (taz) – Die Bundesregierung will das Recht der Zigarettenindustrie, Jugendliche zum Rauchen zu verführen, möglicherweise vor Gericht einklagen. Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) wollte sich gestern in Bonn zwar nicht festlegen, kündigte aber Widerstand gegen das EU-weite Werbeverbot für Zigarren und Zigaretten an. Während Ärzte und Verbraucherverbände den EU-Beschluß begrüßten, verlangten Tabakindustrie, Werbewirtschaft und Zeitungsverleger Gegenmaßnahmen der Bundesregierung.

In einer zwölfstündigen Marathonsitzung hatten die 15 Gesundheitsminister der EU in der Nacht zum Freitag beschlossen, Tabakwerbung bis 2006 schrittweise zu verbieten. Die Richtlinie, die noch vom Europaparlament bestätigt werden muß, sieht vor, daß ab 2002 in Zeitungen und Zeitschriften nicht mehr für das Rauchen geworben werden darf. Raucheranimation auf Plakaten und an Kiosken soll bereits ein Jahr früher verboten werden. Dagegen dürfen Großveranstaltungen wie Formel-1-Rennen, wo Schumi und Villeneuve telegen für Marlboro und Dunhill rasen, noch bis 2006 von Zigarettenfirmen gesponsert werden.

Die eigenartige Fristenlösung spiegelt die Sonderinteressen einiger Mitgliedsländer wider. Die britische Regierung wollte sogar eine unbefristete Ausnahme für den Motorsport, obwohl die Labour Party eine Millionenspende von Formel-1-Chef Bernie Ecclestone inzwischen zurückgezahlt hat. Mit der dreijährigen Übergangsfrist für die Zigarettenwerbung in Zeitungen wollten die EU-Gesundheitsminister der Bundesregierung entgegenkommen, die sich um die Anzeigeneinnahmen der Verleger sorgt. Etwas Besonderes haben sich die Gesundheitsminister für die Werbung mit Produkten einfallen lassen, die man zwar nicht rauchen kann, die aber ans Rauchen erinnern. Camel darf weiterhin Schuhe und Klamotten mit seinem Logo anbieten, obwohl sich Jugendliche dadurch zum Griff nach der gleichnamigen Zigarette ermuntert fühlen könnten. Es dürfen aber keine neuen Produkte mit Zigarettennamen mehr auf den Markt gebracht werden.

Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer kritisierte gestern das „Ungleichgewicht“ der EU-Richtlinie. Es sei nicht einzusehen, warum bei Autorennen länger für Zigaretten geworben werden dürfe als in Zeitungen. Nach Ansicht von Seehofer verstößt das Werbeverbot gegen die Meinungs- und Pressefreiheit. Mit einer erstaunlichen Argumentationsspirale stellte er jedoch einen Zusammenhang mit der Alkoholwerbung her. Der Gesundheitsminister will sogar über ein Verbot nachdenken, wenn die Brauereien bei der Fernsehwerbung nicht endlich Zurückhaltung übten. Eine passende EU-Richtlinie ist derzeit nicht geplant, wie eine Sprecherin der EU-Kommission gegenüber der taz bestätigte. Anders als Tabak sei Alkohol in geringen Mengen nicht schädlich, sagte sie. Alois Berger Tagesthema Seite 3