Achterbahn im Weserstadion

■ Werders 2:4 Niederlage gegen den Karlsruher SC beobachtete am Samstag taz-Gastautor Ralf Fücks

Das Wetter war so gruselig, daß man keinen Hund vor die Tür schicken mochte. In der Gästekurve verloren sich ein paar Dutzend Karlsruher Fans. Alle äußeren Vo-raussetzungen für ein grausames Spiel – doch siehe da, es kam anders: Sechs sehenswerte Tore, Strafraumszenen zuhauf, zwei Mannschaften, die gewinnen wollten und trotz der widrigen Umstände mehr boten als Kampf und Krampf.

Vor dem Anpfiff ging ein Raunen durch die Runde: Rost spielt für Reck! Frank Rost, ewiges Talent, das zum ewigen Bankdrücker zu werden drohte, bekam den Vorzug, weil Olli Reck trotz toller Reflexe und großer Routine von seinem alten Spielgefährten und neuen Trainer Sidka zum Unsicherheitsfaktor bei Standardsituationen erklärt wurde – so unsentimental ist Profifußball. Ob das Spiel nur ein Intermezzo in Rosts Reservistendasein war oder der Auftakt zu einem Rollentausch der Torhüter, blieb offen – vier Tore sind nicht gerade ein glücklicher Einstand, auch wenn die Experten-Jury auf der Pressetribüne nach kurzer Beratung das Urteil „unschuldig“fällte.

Einen Freistoß des Kunstschützen Häßler aus 25 Metern konnte der Neue im Nachfassen halten – aber der war nicht von der Sorte, die einem guten Torwart den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Bei den drei Kopfballtoren des Karlsruher Jungstürmers Schroth wurde Rost von seiner Abwehr sträflich im Stich gelassen. Tore zu schießen war den Bremern wichtiger als Tore zu verhindern. Und Treffer Nummer vier war ein spektakulärer Knaller in den Winkel als Abschluß eines Überzahl-Konters, als Werder kurz vor Schluß alles oder nichts spielte. Da wurde es so still im Stadion, daß man das badische Häuflein jubeln hörte.

„Wenn ich sie hätte halten können, hätte ich sie gehalten“, philosophierte Rost nach dem Spiel – ein Satz, der jeden Selbstzweifel abwehren soll. Wie beweglich indessen der Unterschied zwischen „haltbar“und „unhaltbar“ist, bewies auf der Gegenseite der Karlsruher Keeper. Reitmeier klärte in zwei, drei Situationen mit phantastischen Reaktionen, als alle den Ball schon im Netz sahen. Jedesmal war Marco Bode der Unglücksrabe, der intelligent wie immer mitspielte und im richtigen Moment vor dem Tor auftauchte, um dort 100prozentige Chancen in Serie zu versieben. Sidka sollte endlich ein Einsehen haben und das Mißverständnis beenden, aus dem Nothelfer Bode könnte je ein Goalgetter werden.

Werder kämpfte unverdrossen, steckte den frühen Rückstand weg und zeigte vor allem in der ersten Halbzeit lang vermißte Kombinationsfreude. Wicky, der freche Brandt und der elegante Neueinkauf Maximov im Mittelfeld sowie das Großtalent Frings im Angriff, das kühl und überlegt zum zwischenzeitlichen 2:1 traf, verbreiteten Hoffnung auf bessere Zeiten. Aber auf den entscheidenden Positionen war der KSC besser besetzt – im Tor, im Sturmzentrum und vor allem im Mittelfeld mit einem alle überragenden Thomas Häßler, dem zuzusehen eine reine Freude war. Der kleine Mann war überall mit dem berühmten Instinkt für den tödlichen Paß. Sein Europameister-Kollege Dieter Eilts, der Häßlers Kreise einengen sollte, sah gegen ihn alt aus. Schade eigentlich.

Traurig-bittere Mienen trug die Werder-Troika Sidka, Fischer und Lemke nach dem Spiel zur Schau. Sidka sprach sich Mut zu: Werder habe das Spiel gemacht und genug Chancen zum Sieg gehabt – „aber so verrückt kann Fußball sein“. Aber Pech allein war nicht Grund der Niederlage. Als die Karlsruher zur zweiten Halbzeit mit neuer Entschlossenheit aus der Kabine kamen und Werder attackierten, ging bei den Bremern die Souveränität der ersten Hälfte verloren. Es war niemand da, der das Spiel in die Hand nehmen und neu ordnen konnte. Wenn die Mannschaft unter Druck kommt, offenbart sie ihr angeschlagenes Selbstbewußtsein. Warten auf Herzog – das allein wird nicht reichen, Werder wieder nach oben zu bringen. Ralf Fücks

Ralf Fücks ist ehemaliger grüner Bremer Umweltsenator und sitzt jetzt im Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin