Hexenwahn und Zauberei

Hamburger Volkskundler auf den Spuren des Hexenwahns zwischen Inquisition, Internet und zerbrochenen Spiegeln  ■ Von Manuela Keil

Martin Luther nannte sie „Teufelshuren, die Wetter machen und auf Besen reiten, die Leute lähmen, die Kinder in der Wiege martern und eheliche Gliedmaßen bezaubern“. Seine Empfehlung lautete, diese Frauen „zu brennen“. Heutzutage gilt der Glaube an Hexerei und Schadenzauber als purer Unfug, nur noch im Märchenbuch ist die Hexe die Personifizierung des Bösen. So glaubt es zumindest der aufgeklärte Großstadtmensch. Joska Pintschovius kann diesen eines besseren belehren. Seit 30 Jahren treibt der 56jährige Volkskundler Hexenforschung. 1967 wurde ihm der Weg zu den Hexen gewiesen, als er von einem kranken Bauern erfuhr, er sei behext. Nach dieser Begegnung blieb Pintschovius auf den Spuren dörflicher Hexen und Hexer.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Freilichtmuseums am Kiekeberg führte Interviews und wertete über 100 Hexenprotokolle aus. Das Ergebnis: Auch heute ist der Glaube an schadenstiftende Mächte noch lebendig. „In der Winser Marsch erklärte man mir die Behinderung eines Kindes mit dem Schnalzen der Nachbarin am Wochenbett.“

Der Volkskundler stellte fest: Anzeigen in Sachen Hexerei kamen immer aus der Nachbarschaft. Meistens bezichtigten Frauen ihre Geschlechtsgenossinnen. Hinter allen Fällen standen Neid, Mißgunst und nachbarschaftliche Konflikte. „Der Schadenzauber in dörflichen Gemeinschaften ist ein alter tradierter Volksglaube. Und der blieb erstaunlicherweise vom Internet und anderen Moderichtungen völlig unberührt.“

Und wie wird gehext? Im Vorgarten vergrabenes Brot bringt Unglück. Ebenso, wenn in einem Dialog dem Opfer dreimal hintereinander ein „Ja“entlockt wird. Als wirksamstes Mittel gelten mit bösen Gedanken versehene Lebensmittel. Gegen Hexerei helfen verschiedene Hausmittel – eine geöffnete Schere, eine Nähnadel in der Haustür oder Knochen und Haare an der Türschwelle. Ausgrabungen belegen diese Hexenbanner.

Für Pintschovius, der in seinem Buch „Zur Hölle mit den Hexen“den Spuren dieser dämonischen Wesen nachgeht, ist die Hexe eine theologische Erfindung mit vier Kennzeichen: dem Flug zum Blocksberg, dem Kult fremder Gottheiten, der sexuellen Vereinigung mit dem Teufel sowie dem Schadenzauber. Im Mittelalter wurde aus dem Hexenmythos ein Wahn. Im Sachsenspiegel (1224 - 1231) wurde Zauberei erstmals als ketzerischer Straftatbestand niedergelegt. Grundlage der systematische Hexenverfolgung bildete der 1487 von den päpstlichen Inquisitoren Heinrich Institoris und Jacob Sprenger verfaßte Hexenhammer (Malleus maleficarum).

Der moderne Mensch habe Hexen zwar aus seiner Vorstellungswelt verbannt, sagt Hexenforscher Pintschovius. Dennoch sei der Glaube an böse oder gute Mächte weit verbreitet. So warnen Bestsellerautoren vor der Macht der bösen Gedanken. Positives Denken hat Hochkonjunktur. Amulette und Glückssteine sollen Unglück abwenden. Und ein zerbrochener Spiegel gilt immer noch vielen als Vorbote für sieben Jahre Unglück.