Im Zustand der Dauerreibung

■ Wie kann man einer guten Sache einen schlechten Dienst erweisen? Christa Wolf, Ben Becker und Forscher aus aller Welt feierten schon mal den achtzigsten Geburtstag von Heinrich Böll

Das war in der Wüste Gobi. Im Sommer 1986. Eine Krankenschwester erschießt drei Männer, von denen sie sich in ihrer Ehre verletzt fühlt. „Wie kann das sein?“ fragt Böll-Forscher Changshan Shu aus China, „Ein so ähnliches Schicksal wie das Katharina Blums, am anderen Ende der Welt!“ Und er erklärt es gleich selbst mit der „immensen Bedeutung“, die Böll als meistgelesenem und meistübersetztem deutschem Nachkriegsautor und gerade auch der „Verlorenen Ehre der Katharina Blum“ in China zukomme. Rezeptionsgeschichte als Mordgeschichte. Ob Heinrich Böll das gefallen hätte?

80 Jahre wäre der einzige deutsche Nachkriegsnobelpreisträger der Literatur in zwei Wochen geworden. Die den Grünen nahestehende Stiftung, die seinen Namen trägt, feierte ihn schon einmal vorab. Und hatte dazu sehr internationale Böll-Forscher geladen. So international, daß es ein bißchen peinlich wurde. Oder was soll man davon halten, wenn Christine Yimdjo, Germanistin aus Kamerun, die ihre Magisterarbeit (!) über Böll geschrieben hat, nicht mehr zu sagen bereit ist, als daß sie die Frauenfiguren in Bölls Romanen einfühlsam gezeichnet finde und daraus die Hoffnung auf ein Ende des Patriarchats in Kamerun schöpfe? Und wenn Stiftungsvorsitzender und Diskussionsleiter Ralf Fücks vorsichtig darauf hinweist, daß feministische Literatur in Deutschland eher Gegenteiliges behaupte, und sie knapp mit einem „das wisse sie nicht, das interessiere sie nicht“ kontert – dann wird noch dem letzten im Raum klar, daß hier mit dem besten Willen der guten Sache wieder mal ein schlechter Dienst erwiesen worden ist.

Man kann auch irgendwie nichts anderes erwarten, wenn die Podiumsgäste von Böll-Sohn Viktor schon mit den Worten begrüßt werden, dies sei endlich mal ein Podium „ohne störende deutsche wissenschaftliche Stimme“. Das ist doch absurd. Man erwartet ja gar nicht, daß zu einem Geburtstagssymposium ausgewiesene Böll- Kritiker geladen werden. Aber ein kompetenter Germanist vielleicht, der auch die Schwächen in Bölls Werk – Einwände, die von den Böll-Erben ja reflexartig abgewehrt werden – thematisiert hätte, das wäre doch schon etwas gewesen. Und man hätte auch eine Art Antwort erwarten können auf die interessante Frage, die auch auf diesem Symposium immer mal leise anklang, wieso vor allem unter jungen Leuten niemand Böll liest. Zumindest mehr als die Antwort von Efim Etkind, der schlichtweg meinte, das liege daran, daß die junge Generation überhaupt nichts lese. So ein Unsinn.

Die „nicht störende deutsche Stimme“, die man sich eingeladen hatte, war Christa Wolf. Sie lobte, man durfte das erwarten, Bölls „Anständigkeit“, seine „seismographische Empfindlichkeit“, seine „Integrität“ und „Furchtlosigkeit“ und beschrieb erhaben, daß „kein anderer Schriftsteller mit dem Wort Brot soviel anfangen konnte“ wie Böll, ja, daß Brot für ihn geradezu „Maßstab für Moral“ gewesen sei und daß er sich sein ganzes Leben in einem „Zustand der Dauerreibung“ befunden habe. Und so vereinnahmte sie den kämpferisch-engagierten wie heiter-ironischen Böll (es war Ben Becker zu verdanken, daß er in einer kurzen Lesung eben diesen Böll, den man schon zu vergessen drohte, in Erinnerung brachte) in ihr großes, auswegloses, kitschiges Leiden.

Da wendet man sich mit Schrecken und muß dann leider sagen, daß eine Veranstaltung, die angetreten war, die „Gegenwärtigkeit eines unzeitgemäßen Autors zu belegen“ mit schöner Konsequenz dessen Ungegenwärtigkeit demonstrierte. Schade eigentlich. Volker Weidermann