Ein Stadtchef vor Gericht

■ In Teheran tobt während des OIC-Gipfels ein Kulturkampf um Bürgermeister Karbaschi

Der Oberbürgermeister von Teheran darf Iran nicht verlassen. Knapp ist er dem Knast entkommen, für umgerechnet 2,7 Millionen Mark Kaution. Denn Gholam Hossein Karbaschi ist korrupt, behauptet die iranische Justiz. Er soll Staatsgelder veruntreut haben, und seine Bezirksbürgermeister werden beschuldigt, „unkritische“ Befehle ausgeführt zu haben. Vor rund einem Monat begann der Prozeß gegen den vergleichsweise liberalen Politiker – es ist die erste offen Machtprobe zwischen den in Parlament und Justizwesen einflußreichen Konservativen und dem gemäßigten iranischen Präsidenten Mohammad Chatami.

Denn Karbaschi, seit neun Jahren Teherans Bürgermeister, ist ein Vertrauter des Präsidenten. Vor der Wahl gehörte er zu den wenigen, die offen für Chatami Partei ergriffen. Mittlerweile ist er einer der einflußreichsten Politiker des Landes.

Und einer der fortschrittlichsten. Unter dem Schah-Regime saß er dreieinhalb Jahre im Gefängnis; den Puritanern in Teheran ist er mehr als einmal auf die Füße getreten. Rigoros säuberte der 43jährige die Stadt, baute Parks, Grünanlagen und „Vergnügungsstätten“ für Musikveranstaltungen. Bei einem Jazzkonzert für Jugendliche ließ er Jungen und Mädchen zwar durch verschiedene Türen herein, drinnen aber saßen sie zusammen.

Unter Kabaschis Regie erscheint die Tageszeitung Hamschahri (Der Mitbürger), die sich kritisch mit der wirtschaftlichen Krise auseinandersetzt. Seine Kinderzeitung Aftabkardun (Sonnenschirm) mußte im Mai dieses Jahres umgerechnet 1.000 Mark Strafe zahlen, weil sie in zwei satirischen Artikeln die Arbeit des iranischen Rundfunks kritisiert hatte.

Dennoch ist der Politiker, der in Deutschland Ökologie studiert hat und in der heiligen Stadt Qom Theologie, für seine Gegner schwer angreifbar – im Gegensatz zu Teherans Bezirksbürgermeistern. Als im August einer von ihnen verhaftet wurde, traten zwölf andere zurück. Karbaschi lehnte die Rücktritte jedoch ab, die einmalige politische Aktion wurde schnell heruntergespielt.

Der Zorn der iranischen Konservativen zielt auch auf die Funktion des Bürgermeisters im vergangenen Wahlkampf. Weil der jetzige Präsident Chatami keine eigene Wahlkampforganisation hatte, soll Karbaschi in einem staatlichen Gebäude für den unbekannten Kandidaten geworben haben. Nachdem es den neuen Linken und der gemäßigten Fraktion nun gelungen ist, Mohammad Chatami an die Macht zu bringen, bemühen sich die Wahlverlierer, die neue Regierung in Verruf zu bringen, indem sie Karbaschi kritisieren.

Der beabsichtigt nun, mit einer Parlamentariergruppe eine Partei zu gründen, die „Diener des Aufbaus“. Denn die Wahl der Majles Chobregan steht bevor, der zweitgrößten Machtinstanz des islamischen Regimes.

Karbaschi ist ein Mann, der sich Feinde macht. Zwar kritisiert er die USA wegen ihrer Ungerechtigkeit gegenüber Iran, spricht aber von einer amerikanischen „modernen Zivilisation, die man verehren muß“. Er zitiert die Überlieferung des Propheten über Reinlichkeit – und wenn Menschen sauber sein sollen, warum dann nicht auch Städte? Freiwillige haben in seinem Auftrag die Ladenfronten neu gestrichen – obwohl die Geschäftsinhaber sich beschwerten, daß sie die Rechnung bekamen.

Doch das drängendste Problem der Stadt, gibt der Mann mit der Designerbrille, dem getrimmten Bart und dem grauen Anzug zu, sind nicht schmutzige Ladenfenster. Es sind die Armen aus den iranischen Landgebieten, die auf der Suche nach Wohnung und Arbeit nach Teheran strömen und die Einwohnerzahl der Stadt auf über neun Millionen anschwellen ließen. Sie errichten Häuser ohne Strom und Abwasseranschluß. Doch Demokratie bedeutet die Herrschaft der Mehrheit, behauptet Karbaschi. „Die Mehrheit hat immer recht, überall auf der Welt.“ Kambiz Behbahani