Bloß nicht Däumchendrehen

■ Bremer Seniorentag 1997 machte gestern ehrenamtliches Engagement im Alter zum Thema / Organisationen wie der „Senior Service“stellten sich in der Neuen Vahr vor

„Zu Hause nur rumsitzen und Däumchendrehen ist nicht das Richtige“meint Curt Brandis, 71 Jahre alt und seit neun Jahren pensioniert.

Deshalb ist er in den letzten Jahren als sogenannter Senior-Experte bis nach Sibirien gereist und hat Unternehmen beraten oder Betriebe unterstützt. Als ehemaliger Industrie-Manager bringt er dafür das nötige Know-how mit.

Jetzt will er einen Bremer Senior Service aufbauen und mit einem Netz aus qualifizierten Führungskräften Existenzgründern in Bremen auf die Beine helfen. Beim Bremer Seniorentag 1997 war er mit dieser Idee im Bürgerhaus Neue Vahr gestern genau richtig. Um seinen kleinen Info-Stand – neben dem Senioren-Handwerker-Dienst und dem Deutschen Hausfrauenbund – drängelten sich interessierte Pensionäre und tauschten Adressen aus.

Drei neue Experten hat Curt Brandis schon auf dem Zettel, aber er braucht noch mehr qualifizierte Rentner, hauptsächlich aus dem kaufmännischen Bereich. Denn zuletzt klingelte bei ihm heute morgen das Telephon: „Zwei Frauen wollen eine Eisdiele aufmachen, wissen aber nicht, wie man eine Rentabilitätsrechnung aufstellt“. Herr Brandis läßt sich das Problem erklären und vermittelt den richtigen Senior an die Existenzgründer: umsonst und gratis versteht sich. „Die Arbeit müssen die dann allerdings selber machen – wir beraten nur“, betont der vor Energie strotzende Mann.

Obwohl Vereine und Verbände klagen, daß sich immer weniger Menschen ehrenamtlich engagieren, boomt die Zahl der freiwilligen Helfer, rechnet Roswitha Erlenwein, Kreisvorsitzende des Deutschen Roten Kreuzes, vor. Sie vermutet, daß sich Senioren nach dem Lustprinzip bei Initiativen engagieren, die auf ihre Interessen zugeschnitten sind, und weniger in den starren Strukturen der Verbände.

Denn seit Anfang der 60er Jahre habe sich die Zahl der freiwilligen Helfer in Deutschland auf 12 Millionen verfünffacht. „Nicht nur ein Gewinn für unsere Gesellschaft, sondern auch für den Einzelnen, denn man bekommt nicht das Gefühl, zum alten Eisen zugehören“, resumiert Erlenwein. Das kann Curt Brandis nur bestätigen: „Natürlich bringt es Befriedigung – und außerdem ist es ungemein spannend und interessant.“Deshalb widmet er im Augenblick „die ganze Zeit“dem Verein Bremer Senior Service, der sich erst letzte Woche gegründet hat.

Etwa jede vierte Bremerin und jeder vierte Bremer ist älter als 60 Jahre – aber nicht jeder von ihnen ist eine ehemalige Führungskraft und im Verein von Herrn Brandis richtig. Deshalb ist das Angebot der Freiwilligenarbeit so breit wie die Bremer Oldieszene. „Vergeßt den Tagesmief, und werdet jetzt bei uns aktiv!“, wirbt der Verein ContraRost. Die aktiven Rentner helfen alten Menschen, bei denen die Schranktür klemmt, der Wasserhahn tropft oder ein Regal angebracht werden muß.

Die Ehrenamtlichen vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) sind z.B. für Reiseberatung oder Technikschulungen zuständig. „Das tolle dabei ist, daß wir so bunt gemischt sind“, freut sich Brigitte Breyling vom ADFC. „Und Spaß macht es auch noch, sich als Ehrenamtlicher zu betätigen“, sagt Ex-Bürgermeister Hans Koschnik, der Schirmherr des Seniorentages: „Ich bin ja auch so eine Type“. Kirsten Hartje