Die Vergangenheit der Bunker: Die New Yorker Künstlerin Marsha Pels bringt das Erinnern nach Emden zurück

Marsha Pels ist eine entschlossene Frau. Ihr Blick ist sicher, wenn sie sagt: „Ich kriege, was ich will, wenn ich es will.“Seit zwölf Jahren trägt sich die international bekannte Künstlerin aus New York mit dem Gedanken, ein Kunstprojekt in Emden zu realisieren. Jetzt ist es so weit. Marsha Pels: „Ich werde meine Idee verwirklichen.“

Ein Stipendium der „Fulbright Kommission“finanziert ihren zehnmonatigen Aufenthalt in Norddeutschland. Mitte September folgte die Künstlerin, die seit 1989 an amerikanischen und europäischen Hochschulen auch in der Lehre tätig ist, der Einladung von Professorin Dr. Silke Wenk an die Universität Oldenburg, wo Marsha Pels Seminare und Vorlesungen über zeitgenössische amerikanische Künstlerinnen sowie über Kunst im öffentlichen Raum hält.

Eine zweite Einladung erging durch Walter Schulz, Direktor der Johannes A. Lasco Bibliothek in Emden. Mit dieser Stadt verbindet die 46jährige Amerikanerin jüdischer Abstammung früheste Kindheitserinnerungen: Ihr Großvater emigrierte schon vor der Jahrhundertwende von Emden nach New York. Andere Familienangehörige aber blieben – die meisten starben später in den Vernichtungslagern der Nazis. Zwei Generationen später fand Marsha Pels lediglich Gräber und Dokumente, die den Tod ihrer Familie bestätigen.

Die Folgen des Holocaust sind bis heute in Emden zu spüren: Von der ehemals blühenden jüdischen Gemeinde, der nach Hamburg zweitgrößten in Norddeutschland, blieb nichts übrig – außer Gräbern, Deportationslisten, Zahlenreihen. Der nichtjüdische Teil der Bevölkerung hingegen blieb weitgehend von den Folgen des Krieges verschont. Obwohl die Stadt zu fast 90 Prozent zerstört wurde, überlebten fast alle nichtjüdischen BewohnerInnen das Bombardement in den 35 Bunkern der Stadt. Diese Bunker, von Zwangsarbeitern und jüdischen Gefangenen gebaut, sind bis heute erhalten. Genau diese Bunker plant Marsha Pels in ihr Projekt einzubinden. „Plätze haben ein Gedächtnis. Was waren sie, was wird aus ihnen?“

Marsha Pels, 1950 in Brooklyn geboren, wußte schon im Alter von sechs Jahren, daß sie Künstlerin werden wollte. Sie studierte Malerei und Bildhauerei und reiste als 18jährige erstmals nach Italien. 1984 folgte sie, in Amerika bereits mehrfach augezeichnet, als Gewinnerin des „Prix de Rome“einer Einladung der Amerikanischen Akademie in Rom.

Dort arbeitete sie in Gießereien und erwarb sich das Vertrauen der Arbeiter. So erzählten sie ihre Geschichten, Geschichten aus dem Krieg, vom Sterben und vom Widerstand. Fünf Jahre später stieß Marsha Pels, inzwischen Gastdozentin an der „Tyler School of Art“in Rom, zufällig mit ihren StudentInnen auf einen unentdeckten Partisanendurchschlupf in einem toscanischen Bauernhaus. Wieder wurde die Geschichte ihrer Familie, die sie inzwischen durch Reisen nach Emden, Spanien und Tunesien weitgehend rekonstruiert hatte, auf makabre Weise lebendig. „Der Krieg verfolgte mich, wo immer ich hinging.“

Es ist nicht allein der Zweite Weltkrieg, es sind auch die eigenen inneren Kriege, die die Künstlerin in den Mittelpunkt ihres Arbeitens rückt. Oft sind es persönliche Erfahrungen, die sie in ihre Objekte und Installationen einarbeitet. „Acheron“(1985) etwa entstand nach dem Tod ihrer Freundin und Künstlerkollegin Ana Mendieta und zeigt ein Boot, beladen mit leb-losen Körpern, über denen sich ein Netz spannt. Wie gestrandet liegt es auf den marmornen Steinen eines Teiches inmitten einer verträumten Landschaft.

Ein gerade in dieser Gegensätzlichkeit erschreckendes Bild. „Ein Kunstwerk, das nicht provoziert, ist ein schlechtes Kunstwerk“, stimmt Marsha Pels Marcel Duchamp zu. Doch wer ihre Arbeiten kennt, weiß: Sie schockiert, nicht um zu schockieren, sondern um einen Zugang zu tiefliegenden Seinszuständen zu eröffnen. Das Boot dient ihr als Medium des Übersetzens (auch auf dem Fluß zwischen Leben und Tod), es taucht immer wieder in den Arbeiten der Künstlerin auf.

Hält sie sich einerseits an die archaische Symbolik und Spiritualität der Form, so bricht sie geradezu gewalttätig Tabus auf: Für die Arbeit „Limbo III“etwa verwendete Marsha Pels Abgüsse von Skeletten, die sie massiv manipulierte und die Hände von Erwachsenen gegen die von Kindern austauschte. So drastisch ist die Gestaltungssprache einer Frau selten. Doch gerade indem Marsha Pels diesen Tabubruch künstlerisch aufnimmt, beweist sie ihre feministische Grundhaltung, die aus vielen Arbeiten spricht. Nein, sie repetieren nicht die Wogen des Geschlechterkampfes. Die Front, an der sich die Positionen gegenseitig zu enthaupten versuchen, interessiert die Künstlerin weniger als das Hinterland der Gefühle: „Ich will, daß die Leute in ihr Inneres schauen.“

Dabei gewährt sie tiefen Einblick in das eigene Leben. Ihre jüngste Arbeit „Babies and Chutes“entstand nach einer Fehlgeburt. Die 1995 eigens für das New Yorker „Sculpture Center“geschaffene Rauminstallation zeigt zwei androgyne Kristallbabies – Abgüsse herkömmlicher Plastikpuppen –, die unter großen Schirmen auf marmornen Kissen ruhen und mit einer leuchtenden „Nabelschnur“verbunden sind. Wie Astronauten im All, von der Menschheit verlassene Pioniere auf der Suche nach Menschlichkeit.

Natürlich haben die gerade in Amerika teilweise blutigen Auseinandersetzungen zwischen Lebensschützerinitiativen und AbtreibungsbefürworterInnen das Entstehen dieser Installation geprägt. Doch ihre Aussage geht weit über die vielbemühten Argumente beider Seiten hinaus. Sie führt mitten hinein ins Zentrum der eigenen Kriege, in einen Raum, der unbekannt ist wie ein fremder Planet.

Heute, am 10. Dezember, stellt Marsha Pels in einer Vorlesung ihr Werk vor und erläutert Bezüge zur zeitgenössischen US-Kunst. Eine einmalige Gelegenheit, das Werk dieser Künstlerin kennenzulernen, die mit so ambitionierten Plänen nach Deutschland gekommen ist.

Dora Hartmann

Der Vortrag am 10. Dezember beginnt um 18 Uhr und findet im Raum A8/1-110 (Kunsttrakt) der Universität Oldenburg statt