■ Welt Weit Grönling
: Ein Antigotchi im Browserkrieg

Nach vielen Schlachten, die die Herren Andreessen (Netscape) und Gates (Microsoft) auf dem Rücken der User ausgetragen haben, und angesichts des bevorstehenden (und für einen Unchristen wie mich ätzend langweiligen) Weihnachtsfestes habe ich einen teuflischen Plan gefaßt: Ich werde alle Browser, Mailer, ftp- und Chat-Programme, überhaupt alles, was auch nur entfernt nach Internet riecht, für ein paar Wochen unbeachtet lassen und statt dessen das Antigotchi-Spiel von der CD laden. Anders als das brave, liebebedürftige und damit langweilige Tamagotchi hat das grüne, häßliche, vom Planeten Gotchi stammende Wesen mit der Eierschale auf dem Kopf nichts anderes im Sinn, als Windows 95 zu knacken. Denn dann besitzt es etwas, was nicht funktioniert, aber einen gewissen Bill Gates reich gemacht hat. Aber ich muß aufpassen: Das Schrecklichste, was dem Antigotchi passieren kann, ist, daß das Bier ausgeht. Fällt sein Alkoholpegel unter 1,0 Promille, geht es jämmerlich zugrunde. Auch qualmt es wie ein Schlot, da muß ich ständig für Nachschub sorgen.

Das macht es ungeheuer sympathisch, fördert den Alkohol- und Nikotinkonsum von Kindern und ist hundertmal lustiger als die Schlammschlachten im Browserkrieg. Die sind langweilig geworden, aber vielleicht ist auch genau das der Plan. User werden so lange und so häufig mit Alarm- und Fehlerbotschaften überschüttet, bis sie entnervt aufgeben und die Dinge hinnehmen, wie sie kommen. Das ist wie mit den Nachrichten über Kriege auf dem Balkan, in Tschetschenien, Afrika oder sonstwo: Anfangs sind alle tief erschüttert, nach einer Weile wird einfach weitergezappt, wenn der Nachrichtensprecher wieder mal verkündet, daß auch heute soundso viele dran glauben mußten. Waren ja keine Deutschen dabei.

Beinahe jede Woche gab es eine Nachricht über eine neue Sicherheitslücke im Internet-Explorer. Kaum war sie bekannt, gab es bereits ein Reparaturprogramm („bugfix“) im Netz. Beim Netscape Communicator war das nicht anders, und ich bin sicher, daß die beiden Kontrahenten ganze Abteilungen damit beschäftigen, die Fehlerchen des anderen aufzudecken und umgehend bekanntzumachen. Microsoft hat gerade eine Version 4.01 ins Netz gestellt, die nun ganz bestimmt funktionieren soll. Für die User bedeutet das: zur Freude der Telekom mal wieder 16,4 Megabyte übers Netz quälen. Bei Netscape ist das auch nicht viel besser, aber das ist kein Trost. Mein Antigotchi ist zum Angriff bereit. Dieter Grönling

dieter@taz.de