„Mit den Irren aufräumen“

■ Rechts-Anwalt Jürgen Rieger gestern zusammengeschlagen / Prozeß um den „Auschwitz-Mythos“ unterbrochen / Fortsetzung unklar Von Guido Börnsen

Die Aktion war längst überfällig: Seit Jahren schon ist Jürgen Rieger der linken Szene ein übles Ärgernis. Mit Sachbeschädigungen an Haus und Auto war es für den Rechts-Anwalt aus Blankenese bislang aber immer relativ glimpflich abgegangen. Gestern mittag jedoch kam der Mann nicht so glimpflich davon: Nach der Berufungsverhandlung im „Auschwitz-Mythos“-Prozeß vor dem Hamburger Landgericht, an der Rieger als Verteidiger des Hauptangeklagten André Goertz teilgenommen hatte, wurde er von fünf bis sieben Vermummten überfallen und zusammengeschlagen.

Beim Angriff an der Ecke Feldstraße/Glacischaussee – Rieger befand sich wohl auf dem Weg zu seinem in der Nähe des Strafjustizgebäudes geparkten Fahrzeug – erlitt der bekennende Rechtsradikale nach Polizeiangaben Prellungen und Hautabschürfungen, eine Kopfplatzwunde sowie eine Knochenverletzung an der Hand. Zwar konnte Rieger nach ambulanter Versorgung das Krankenhaus am Nachmittag wieder verlassen, doch die für heute geplante Fortsetzung der Berufungsverhandlung wurde abgesagt. Kann es innerhalb von zehn Tagen nicht weitergehen, müßte der Prozeß neu beginnen.

Ein Tatverdächtiger, ein 21jähriger iranischer Student, konnte von der Polizei in Gewahrsam genommen werden, nachdem Passanten ihn festgehalten hatten. Der junge Mann wird vermutlich heute dem Haftrichter vorgeführt. Die übrigen konnten unerkannt entkommen, nicht jedoch, ohne den Aktenkoffer des Anwalts samt darin befindlicher Prozeßunterlagen mitzunehmen. Warum es trotz eines massiven Polizeiaufgebots überhaupt zu einem Übergriff kommen konnte, erklärte Polizeisprecher Wolfgang Ketels damit, daß „keine Erkenntnisse“ über einen geplanten Anschlag vorgelegen hätten: „Wir sahen keinen Grund, ihn persönlich zu begleiten.“ Im Gegensatz zu den Angeklagten Goertz und Jens Siefert, die von mehreren Beamten bis zur U-Bahn eskortiert wurden.

Die beiden Neonazis – die sich selber als „nationale Bürger“ verstehen – hatten während der Verhandlung erneut betont, durch die Verwendung des Begriffs „Auschwitz-Mythos“ die Ermordung von Millionen Juden nicht leugnen zu wollen. Während der Nebenangeklagte Siefert nur selten sprach und sich lediglich für die technische Seite des Nationalen Infotelephons zuständig erklärte – in seiner Wohnung ist der Anrufbeantworter installiert –, nutzte der 25jährige Goertz die Gelegenheit, sich in Szene zu setzen. Der BWL-Student, der sich für die Ansage „vollverantwortlich“ sieht, sprach von einem „Trauma“ und „Übersinnlichem“ in bezug auf den Holocaust, der ausschließlich „emotional und irrational“ behandelt werde. Statt dessen sollte dieser jedoch „sachlich“ in den historischen Kontext „eingeordnet“ werden.

Mit den „Hitlerfetischisten“ wie dem NS-Propagandisten Gary Lauck oder dem „Hinrichtungs-Experten“ Fred Zündel wolle er nicht „in eine Reihe gestellt“ werden. Das habe er auch immer wieder in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Standard (früher: Standarte) geschrieben: „Ich vertrete einen progressiven Nationalismus.“ Mit den „Irren“, die die Existenz von Auschwitz noch immer bestritten, müsse man „aufräumen“.

Wann das bei Goertz und Siefert der Fall sein wird, ist nach den gestrigen Ereignissen jedoch ungewiß.

Siehe auch Bericht auf Seite 5