Einmal Hamburg und zurück

■ taz-Serie Grenzgänger, Teil 11: Die Chilenin Alejandra Sack über ihr Leben in zwei Kulturen Von Diemut Roether

„Ein paar Tage noch“, – Alejandras Augen verschwinden fast in einem Kranz von Lachfältchen, „dann geht unser Flug“. Neun Tage noch, zählt sie im Kalender, dann geht es zurück nach Chile, „mein Chile“, die Heimat. Zwischen gepackten Kisten und kahlen Wänden improvisiert sie einen Kaffeetisch. Rosemary, die neunjährige Tochter, lümmelt sich im Sessel und hat nur Augen für ihren Gameboy. Ob sie sich freut auf Chile? „Ja“, sagt Rosemary, ohne aufzublicken. „Als ich die Entscheidung getroffen habe zurückzugehen, habe ich das mit ihr besprochen“, erklärt Alejandra. „Sie wollte das auch.“

Acht Jahre ist es jetzt her, daß Alejandra Maturana den Entschluß faßte, Chile zu verlassen. 21 war sie damals. „Ich habe dort für mich und meine Tochter keine Zukunft gesehen. Ich wollte immer unabhängig sein, aber das ging nicht – schon aus ökonomischen Gründen.“ Über Bekannte in Norwegen kam sie nach Hamburg.

„Ich wollte hier studieren und arbeiten. Ich mußte einen Kredit aufnehmen, um meine Überfahrt zu bezahlen.“ Die kleine Tochter bleibt zunächst bei den Großeltern, erst später holt Alejandra sie nach Deutschland. Da sind die Träume vom Studium schon geplatzt, Alejandra ist verheiratet – mit einem Deutschen.

„Mein Mann wollte immer nur schaffen, Geld verdienen, schnell, ein Haus bauen. Wir haben nur gearbeitet, auch am Wochenende. Irgendwann habe ich gemerkt, daß ich mein Leben verliere und das meiner Tochter und seines auch.“ Typisch deutsch, diese Schafferei? Alejandra lächelt. Statt einer Antwort erzählt sie: „In Chile haben sehr viele Menschen ein eigenes Häuschen. 'Mein Haus', das ist sehr wichtig. Aber wir fangen anders an, wir kaufen uns ein kleines bißchen Boden und bauen ein kleines Häuschen. Ganz bescheiden. Und später, wenn wir können, bauen wir an.“

Die Ehe zerbricht nach fünf Jahren. Damals, 1993, wollte Alejandra schon einmal zurück nach Chile. Der Flug ist bereits gebucht, doch ein Freund überzeugt sie zu bleiben. „Wenn du jetzt zurückgehst, bist du in der gleichen Situation wie damals, als du Chile verlassen hast“, sagt er. Und Alejandra besinnt sich auf ihre ursprünglichen Pläne: eine Ausbildung machen, auf eigenen Füßen stehen. Selbständig sein, unabhängig. So oft wiederholft sie diese Worte, daß es schwerfällt, sich vorzustellen, daß sie je anders leben konnte.

Dann hört sie vom Hamburger Reintegrationsprogramm für chilenische EmigrantInnen. Alejandra Maturana macht dort eine Ausbildung in Bürokommunikation und im Anschluß daran das Diplom als Anwendungsprogrammiererin. Zweimal schon hatte sie in Deutschland eine Ausbildung anfangen wollen, zweimal kam kurzfristig etwas dazwischen, „private Gründe“, sagt Alejandra. Im dritten Anlauf hat es endlich geklappt. Wenn sie jetzt zurückkehrt, will sie nur kurz zu ihren Eltern gehen, nach Valparaiso. Und dann nach Santiago, dort hat man ihr eine Stelle angeboten.

Einmal nur entschlüpft Alejandra jener Satz, den man erwartet von einer jungen Südamerikanerin, die 21jährig ihre Heimat verläßt und versucht, im fernen, ach so modernen Europa eine Zukunft zu finden: „Es war nicht leicht.“ Einmal nur fällt das Wort „Einsamkeit“. Viel lieber spricht sie über die „wertvolle Erfahrung“, die sie hier gemacht hat: „Ich habe gelernt, daß du als Frau vorwärts kommen kannst, ohne von jemandem abhängig zu sein. Es hat mir hier sehr gut gefallen, daß die Frauen nicht nur das Haus haben, sondern auch einem Beruf nachgehen. In meinem Land wurden wir Frauen erzogen, um irgendwann zu heiraten.“

Und noch etwas nimmt sie mit nach Hause: „Daß es mein gutes Recht ist, gewisse Dinge einzufordern. In Chile sind wir sehr schüchtern, wir sagen ,bitte, bitte' und trauen uns oft gar nicht, bestimmt aufzutreten. Davon muß man sich befreien. Ich habe schon versucht, das meiner Familie beizubringen. Auch diese direkte Art, die die Europäer haben, daß man sagt, was einem nicht gefällt. Und ich habe ganz gute Erfahrungen damit gemacht.“ Alejandra schätzt die „Professionalität“, mit der die Deutschen an vieles herangehen, auch an solche Dinge wie Bewerbungen und Vorstellungsgespräche. „Das kann man lernen, man muß nur wissen, wie man sich verhalten muß.“

Ob es ihr schwerfällt zu gehen? „Nein. Ich bin sehr zufrieden. Chile ist meine Heimat. Ich bin auch nicht nervös oder unruhig, ich fühle mich sicher. Ich möchte zurückehren – ich selbst sein, unabhängig sein. Aber wenn ich damals nicht weggegangen wäre, hätte ich das nie geschafft. Hier habe ich zum erstenmal alleine gelebt. Wenn ich das hier konnte, mit einer Sprache, die, nebenbei gesagt, sehr schwierig zu lernen ist, dann schaffe ich es auch dort.“