Gestern Schleim, morgen Mumie: Manfred Geiers „Das Glück der Gleichgültigen“

Ist dort, wo alles gleichgültig ist, alles gleichgültig? In postmodernistischen Zeiten erscheint diese Frage nicht selten als kulturkritische Klage über eine vermeintliche Rundum-Beliebigkeit.

Als eine Art Relativierung derartiger Relativierungstendenzen hat Manfred Geier nun das Glück der Gleichgültigen untersucht. Dafür hat er die Geschichte der gesellschaftlichen Evolution durch einen Gleichgültigkeits-Filter gesiebt und den Prozeß der Entzauberung und Verwissenschaftlichung der Welt neu beschrieben als eine fortschreitenden Vergleichgültigung.

Klassischerweise beginnt Geier bei den kosmologisch abgesicherten Weltbildern archaischer Gesellschaften. Diese dienten noch als Hintergrund für eine stoische Seelenruhe, frei nach dem Motto „gestern Schleim, morgen Mumie“(Marc Aurel). Nach der kopernikanischen Wende als „kosmologische Kränkung“(Freud) wurde der Mensch dann immer „eckensteherischer“(Nietzsche) und flüchtete in kompensatorische Gleichgültigkeitsuniversen wie Mystizismus und Nihilismus.

Was nach den semiotischen Spielereien des späteren 20. Jahrhunderts bleibt, ist die ironische Indifferenz der postmodernen Medienweltler. Die Ambivalenz dieser neuen Gleichgültigkeit analysiert Geier abschließend als „Ruhe nach dem Sturm“, als „Zugleich“von kontemplativer Teilnahmslosigkeit und aktiver Absage an Moralisten, Kulturapostel und Apokalyptiker.

Manfred Geiers Gleichgültigkeitsgeschichte liefert als Variante einer Geschichte der Entwicklung zur modernen Gesellschaft zwar nichts wirklich Überraschendes. In ihrer differenzierten Beobachtung und sorgfältigen Aufbereitung ist sie aber durchaus lesenswert. Und lesbar, denn die enzyklopädischen Erörterungen werden durchweg plausibel und detailliert veranschaulicht durch literarische Querverweise. Insofern liest sich das Glück der Gleichgültigen auch als eine Literaturgeschichte der Gleichgültigkeit. Eine, die den Leser zum Glück nicht gleichgültig läßt. Christian Schuldt

Manfred Geier: Das Glück der Gleichgültigen, Rowohlts Enzyklopädie, Reinbek 1997, 265 Seiten.