Chronique amoureuse

■ Brigitte Reimanns Tagebücher bieten Einblicke in ihre Liebesverhältnisse

Warum lesen wir Tagebücher bekannter Leute? Es muß da etwas geben, das unsere eigene Gewöhnlichkeit auffüllt mit Ansichten und Ereignissen, die mehr oder weniger skandalös die jeweiligen Lebensdezennien ausleuchten und uns somit das Gefühl geben können, ein Recht darauf zu haben, in die verschlossensten Tiefen des Verfassers zu dringen. Und wann werden Tagebücher berühmt? Immer dann, wenn über die Privatchronik hinaus Einsichten in das Jahrhundert vermittelt werden, die anders nicht zu haben sind. Tagebücher können wichtige Zeugnisse über Persönlichkeit und Geschichte sein, und eine gierige Leserschaft ist ihnen meistens gewiß.

Ob Brigitte Reimann Tagebücher von 1955–1963 zu den berühmten zählen werden, darüber will ich nicht spekulieren. Der Titel „Ich bedaure nichts“ erinnert entfernt an Claire Golls literarische Chronique scandaleuse der zwanziger Jahre („Ich verzeihe keinem“) und hat in der Tat etwas mit dieser gemein: das alles überlagernde Thema: ich und die Männer. Und das ist – zumindest bei Reimann – auch das Problem.

Obwohl ich Tagebücher gern lese, mag ich Privates nicht. Zumindest dann nicht, wenn es geschwätzig ist und nicht mehr sagt, als daß der Verfasser oder die Verfasserin ihre Hormone nicht unter Kontrolle hat, die Verdauung nicht richtig funktioniert oder das Essen schlecht war. Privates interessiert mich nur dann, wenn über das Protokollieren des Alltags hinaus Wesentliches über die Epoche mitgeteilt wird. Bei Brigitte Reimann geschieht jedoch nur sparsam, was ich mir wünschte: einen Einblick zu bekommen in die Strukturen und den Alltag der fünfziger und sechziger Jahre in der DDR.

Statt dessen begegnen mir in einer ziemlich langen und öden Abfolge unzählige Männergeschichten, Beschreibungen von Alkoholorgien und eitle Verstimmungen der Autorin, die aus gesellschaftlichen Verstockungen rührten. „Ich will aufzeichnen, was immer mir wiederfährt auf meinem Weg zur Schriftstellerin“, schreibt Brigitte Reimann, und genau das erzeugt bei mir Unbehagen, weil es nach Publikumsbuhlerei aussieht, und weil mir generell die Werke einer Autorin wichtiger sind als ihre Meinung über sich selbst. Hinzu kommt, daß die Veröffentlichung dieses Tagebuches wieder einmal mehr der dummen Mode Vorschub leistet, die Leistung einer Schriftstellerin nach deren Leben und nicht nach deren Werk zu beurteilen. Das Tagebuch der Reimann ist ein Tagebuch über die Reimann. Doch trotz aller Schmerzen, durch die sie geht, bleibt das Geschriebene flach, schwatzhaft und vor allem humorlos.

Nun kann man einer Tagebuchschreiberin nicht vorwerfen, sie habe ein schlechtes Tagebuch geschrieben – authentisches Erleben und Privates entziehen sich jeder Kritik. Aber man hat das Recht, sich bei der Lektüre zu langweilen. Wer allerdings auf Psychoanalyse der Autorin von „Franziska Linkerhand“ aus ist, dem sei dieses Werk empfohlen: Wie bei jedem Tagebuch baut sich vor dem Leser ein Charakter auf. Er beginnt, den Schreiber einzuordnen, zu bestimmen und Diagnosen seiner Schwächen zu ziehen. Brigitte Reimann wird dann durchaus zu einem interessanten Fall. Kerstin Hensel

Brigitte Reimann „Ich bedaure nichts. Tagebücher 1955–1963“. Aufbau Verlag, Berlin 1997, 428 Seiten, 39,90 DM