Zur Demonstration in die andere Stadt

In San Sebastiàn protestierten am Wochenende Angehörige inhaftierter Herri-Batasuna-Mitglieder gegen die jüngsten Anschläge der ETA. Dabei wollten sie sich ursprünglich in Bilbao für die Gefangenen einsetzen  ■ Aus Bilbao Reiner Wandler

Den Menschen, die sich am Samstag morgen auf dem Gehsteig gegenüber dem Provinzgericht in Bilbao eingefunden hatten, stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Nach einer zehntägigen Rundreise durch unzählige baskische Gemeinden hatten sich die paar Dutzend Angehörigen von politischen Gefangenen ihren Empfang in der Industriemetropole anders vorgestellt.

Zusammen mit Zehntausenden baskischen Nationalisten aller Couleur wollten sie durch die Stadt ziehen. Eine Großdemonstration gegen die Inhaftierung der 23 Führungsmitglieder der ETA-nahen Herri Batasuna (HB) sollte ihnen als Plattform dienen für ihre Forderungen nach Rückführung aller 600 ETA-Gefangenen in heimatnahe Gefängnisse.

Doch ausgerechnet ETA selbst machte einen Strich durch diese Rechnung, indem sie knapp zwei Tage vor der geplanten Demonstration den Gemeinderat der in Madrid regierenden Partido Popular (PP), José Luis Caso, erschoß. Das Gewerkschaftsbündnis aus der radikalnationalistischen LAB, ihrem gemäßigten Pendant ELA und der Pazifistengruppe Elkarri blies daraufhin den Marsch ab. „Ein solcher Anschlag ist mit unserem Vorhaben unvereinbar“, lautete die Begründung.

„Einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte sich ETA nicht aussuchen können“, beklagt sich Paule Sodube. Die 23jährige Tochter der Hausfrau aus Berango, einem kleinen Ort unweit von Bilbao, wird von der Polizei wegen Mitgliedschaft bei ETA gesucht, ihre 29 jährige Nichte sitzt aus dem gleichen Grund in Untersuchungshaft. Die Großdemonstration wäre für Sodube der Höhepunkt der Rundreise gewesen. In vielen Orten schon hatten Bürgermeister und Gemeinderäte unterschiedlichster Parteien die Angehörigen empfangen. „Einmal war selbst ein Gemeinderat der PP dabei“, erzählt Sodube. Dabei ist die PP-Regierung in Madrid wegen ihrer harten Linie gegenüber den Gefangenen bei deren Angehörigen verhaßt.

„Doch alles, was uns einen Schritt näher an eine Lösung des Konfliktes bringt, soll uns recht sein“, sagt Sodube. Deshalb galt ihre Hoffnung dem Gewerkschaftsbündnis, das jetzt nach dem Tod von José Luis Caso in die Krise geraten ist. Denn was auf parteipolitischer Ebene bisher nicht gelang, schien plötzlich bei den Gewerkschaften möglich: Selbst führende Persönlichkeiten aus der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV), deren Abspaltung Baskische Alternative (EA) und der Vereinigten Linken (IU) kündigten ihre Teilnahme an der geplanten Großdemonstration in Bilbao an.

Doch das Attentat machte alles zunichte. Statt mit den Nationalisten durch Bilbao, zogen viele der Gemäßigten am Samstag nachmittag zusammen mit Anhängern der PP durch die Innenstadt der zweiten Baskenmetropole, San Sebastiàn. Wie bereits im vergangenen Sommer nach der Ermordung eines anderen PP-Gemeinderates, Miguel Angel Blanco, hatten dort alle Parteien mit Ausnahme der HB zu einem Schweigemarsch gegen ETA gerufen. „Friede jetzt und für immer“ stand auf dem Transparent, hinter dem sich der baskische Regierungschef Javier Arzalluz und Führer der Oppositionsparteien trafen sowie der Vizepräsident der spanischen Regierung, Francisco Alvarez Cascos, und Innenminister Jaime Mayor Oreja. Über 100.000 Menschen waren dem Aufruf gefolgt – unter ihnen auch führende Mitglieder der Gewerkschaft ELA.

„Der Schuß auf José Luis Caso traf unser Aktionsbündnis wesentlich mehr, als die PP und die Regierung“, stellt der Sprecher von Elkarri, Gorka Espiau, ernüchtert fest. Trotzdem lief die Gruppe nicht nach San Sebastiàn. „Wir wollen nicht zu einer Aktion beitragen, die die harte Linie der Regierung weiter stärkt.“ Elkarri versucht lieber, hinter den Kulissen zu vermitteln. Schon seit der Ermordung von Miguel Angel Blanco hatte die linksnationalistische Gewerkschaft immer wieder, wenn auch zaghaft, Kritik an ETA geübt. Bei LAB-Generalsekretär Rafa Diez fanden sie einen Ansprechpartner aus dem ETA-Umfeld. Diez setzt auf eine flexiblere politische Strategie, um neue gesellschaftliche Kreise zu gewinnen. Die Demonstration mit ELA und Elkarri sollte ein Test sein für den neuen „Dritten Raum“ zwischen dem bewaffneten Separatismus und der Regierung in Madrid. „Doch der Wille zur Zusammenarbeit ist nicht gebrochen“, sagt Espiau. Schließlich habe die LAB „nicht nur mit uns zusammen zur Demonstration aufgerufen, sondern sie auch gemeinsam mit uns wieder abgesagt“.

Eine Entscheidung, die im linksnationalistischen Lager umstritten ist. HB warf dem LAB-Vorstand „fehlende Ernsthaftigkeit“ vor und kündigte an, die Demonstration alleine durchführen zu wollen. Ob ihr eine nennenswerte Zahl von Menschen gefolgt wäre, mußte der politische Arm von ETA nicht unter Beweis stellen: Das Innenministerium verweigerte die Genehmigung für die Veranstaltung.

An der linksnationalistischen Basis macht sich derweil Ratlosigkeit breit. Wer am Wochenende Mitglieder von LAB oder HB auf ihre Interpretation des Attentats ansprach, erntete meist nur Schulterzucken oder den Satz: „Da muß man mal abwarten, was das nächste ETA-Kommuniqué sagt.“