Monster mit Rechtschreibschwächen

■ Kunst unpolitisch Verfolgter: „Graffiti Art“dokumentiert Sprüher-Fresken als HipHop-Hinterlassen-schaften in Hamburg Bremen und Hannover

Eine Dokumentation der Entwicklung der „Graffiti“verspricht die Serie „Graffiti Art“, deren siebter Band sich nun der Region Norddeutschland widmet: Hamburg, Bremen, Hannover und ein paar kleinere Städte drumherum. Auf 700 Fotos werden die schönsten oder historisch bedeutendsten Graffitis der letzten zehn Jahre gezeigt. Das behauptet jedenfalls das anonyme Redaktionsteam des Bandes, das laut Verlag vollständig aus „Sprühern“besteht. Leider wird die Auswahl weder begründet noch kommentiert. Bloß politische Graffiti sind per Definition ausgeschlossen. „Graffiti Art“beschränkt sich auf die Hinterlassenschaften der „HipHop-Szene“, die inzwischen anscheinend Alleinvertretungsanspruch auf das Genre erhebt und am ungeheuren ästhetischen Niveau ihrer Produktion keinen Zweifel erlaubt.

Ein Künstler namens „Daim“faßt das Basiscredo zusammen: „Sprayer“heißen in Wirklichkeit „Writer“, denn sie „schreiben“und zwar meist ihre eigenen Namen. Diese Selbstbeschränkung ist sicher schlau, angesichts der in den beigefügten Texten dokumentierten Rechtschreibschwächen. Allerdings zeigt der Bildteil des Bandes, daß die ästhetischen Variationsmöglichkeiten beim Sprühen des persönlichen Pseudonyms wohl doch eher begrenzt sind.

Zwar werden die Buchstaben vielfach verschnörkelt und mit Lichtreflexen verzuckert. Doch weitgehende Verschränkungen von Bildern und Texten sind selten zu sehen. Bestenfalls durchbrechen Gesichter- und Figurenmotive die Schrift. Auch diese strotzen nicht gerade vor Einfallsreichtum: Es sind im wesentlichen Standards aus der Airbrush-Malerei der achtziger Jahre, Fantasy-Monster mit gefletschten Zähnen, gerne auch halb- bis ganznackte Frauen. Was daran „kreativ“oder gar „gegenkulturell“sein soll, bleibt insgesamt eher dunkel.

Um so lustiger wirkt der Versuch eines namenlosen Sprühers, sich im Gespräch mit einem Beamten der SoKo „Graffiti“als ästhetisch Verfolgter zu stilisieren. Auf Nachfrage (“Gibt es bestimmte Sprüher, die Sie besonders gerne fassen würden?“) erfährt er nicht nur, daß der „künstlerische“Stil kein bevorzugtes Kriterium bei den polizeilichen Ermittlungen sei. Eigentlich ist Kommissar Winko schon stolz, wenn er in den Schmierereien überhaupt einmal eine individuelle Handschrift erkennt.

Doch diese Gleichförmigkeit ist gar nicht das Schlimmste. Wer sich an den zahllosen kleinformatigen Fotografien vorbeiblättert, versteht – immerhin! – genauer, was an den Graffiti aus der „HipHop-Szene“hauptsächlich nervt: ihr völliges Desinteresse an Ort, Raum und Gegebenheit der eigenen Arbeit, am ästhetischen Kontext. An einer Hand abzuzählen sind diejenigen Schriftbilder, die mit der Form ihres Malgrunds spielen: Das Mauerwerk eines Geräteschuppens verschmilzt „JPK“aus Kiel mit seinen Buchstaben, indem er diese bloß negativ konturiert; „Nain“aus Hamburg schmiegt sein Kürzel an das Fundament eines Alsteranlegers, zwischen Wasseroberfläche und Steg.

Doch in der Mehrzahl besteht das Verhältnis zum vorgefundenen Material in jener Bemächtigungsgeste, die Graffiti seit jeher motiviert: Hier war ich , hier habe ich mich eingeschrieben. Insofern sind „Hip-Hop-Graffitis“eine traditionsreiche Kunst. Sonderlich interessant sind sie deswegen nicht. Jens Balzer

Graffiti Art 7: Norddeutschland. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 1997. 144 S., DM 49,90