Den Dämon feiern

Kurz vor der Bismarck-Schwemme drei höchst verschiedene Biographien des „eisernen Kanzlers“, überblickt  ■ von Jürgen Busche

„Ich halte den Schaden der Bismarckschen Epoche für unendlich größer als ihren Nutzen“, soll Theodor Mommsen einmal zu Friedrich Naumann gesagt haben, „denn die Gewinne an Macht sehe ich für zweifelhafte vorübergehende Gewinne an“. In der Reihe der überlieferten Dicta des berühmten Historikers und liberalen Politikers nimmt sich dieses Urteil über den ersten Reichskanzler noch eher milde aus. Es ist nur deshalb bemerkenswert, weil Mommsen hier einmal nicht unmittelbar von dem Abscheu her spricht, den er gegenüber Bismarck empfand, sondern den Erfolg seiner Politik bilanziert. Und zwar zutreffend, wie man 100 Jahre nach dem Tod des Reichsgründers sagen muß.

Der 100. Todestag Bismarcks wird im nächsten Jahr – 1998 – gefeiert werden. Es werden ernste, würdige Feiern sein, denn jene Deutschen, die solche Feiern lieben, haben sich Mommsens Urteil nie angeschlossen, obgleich sie – nach Bismarck – von den großen Männern des 19. Jahrhunderts kaum noch einen anderen so sehr verehren wie den Autor der „Römischen Geschichte“, der 1902 als erster der Ihren den Literaturnobelpreis bekam. Paradoxa der Devotion!

Das Gedenkjahr wirft seine Bücher voraus. Drei sind schon erschienen, und sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Das wissenschaftliche Werk kommt aus Bloomington, Indiana. Geschrieben hat es Otto Pflanze, ehedem ein Schüler von Hajo Holborn an der Yale University. Es ist ein gediegenes Werk, das in seiner Erzählung möglichst viele Erklärungen zur deutschen Geistesgeschichte unterzubringen versucht. Im Mittelpunkt allen Geschehens aber steht die Diplomatie.

Deutschland steuert bisher zwei sehr unterschiedliche Bücher bei. Johannes Willms, Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung, zeigt, weshalb Mommsen recht hatte mit seiner Bilanz und daß man sie damals schon durchaus so hatte ziehen können. Christian Graf Krockow folgt eher einer Linie, die da besagt, so viele nennenswerte Staatsmänner hätten die Deutschen in ihrer Geschichte nicht hervorgebracht, daß sie sich erlauben könnten, mit den wenigen, die sie in den Schulbüchern aller Nationen finden können, hochnäsig umzugehen.

Willms, der schon früh in seiner Laufbahn mit einer deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert hervorgetreten war und später verdientes Ansehen mit einem Buch errang, das Paris als Hauptstadt Europas in der Epoche zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg vorstellte, entwickelt das Bild Bismarcks, den er einen „Dämon der Deutschen“ nennt, aus der Analyse charakterlicher Deformationen und der Vorzüge wie der Nachteile einer politischen Spielernatur.

Bismarck, lautet schließlich seine These, sei ein Mann des 18. Jahrhunderts gewesen. In der Außen- wie in der Innenpolitik habe die Kunst des ihm Möglichen darin bestanden, alle anderen ständig gegeneinander auszuspielen und abwechselnd als Freunde und als Feinde zu behandeln. Danach war aber längst die Zeit nicht mehr. Außenpolitisch führte das in Konstellationen, die Bismarcks Nachfolger nicht mehr beherrschen konnten. Innenpolitisch war die Folge aus der Tatsache, daß der Reichskanzler etwa Sozialdemokraten und Katholiken wie auswärtige Mächte mißhandelte, daß die Einheit Deutschlands eben nicht erreicht wurde, sondern sich, soweit erkennbar, erst in den Schützengräben des Weltkrieges anbahnte. Dennoch verehrten die Deutschen Bismarck, weil der mit der Reichsgründung pragmatisch Erfolg gehabt hatte, fatalerweise jedoch mit einer Demonstration der irrigen Ansicht, daß in der Politik Macht alles sei und daß alle Macht die Preisgabe der Moral von Fall zu Fall rechtfertige.

In dem beachtlichen Material, das Pflanze vorlegt und untersucht, gibt es vieles, was geeignet ist, die Thesen von Willms zu untermauern. So belegt der Amerikaner gründlich, zu welcher Grausamkeit Bismarck das preußische Heer im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 angestachelt sehen wollte. Und er veranschaulicht die Fassungslosigkeit des Reichskanzlers angesichts einer Partei wie des Zentrums, einer Volkspartei, die um einiger wichtiger Ziele willen Menschen unterschiedlicher Schichten und Stände in ihren Reihen versammelte und entsprechend Wähler zu gewinnen verstand. Doch ist Pflanze in seinen Schlüssen behutsamer als Willms, was freilich auch zu einem gewissen Indifferentismus im Stil führt.

Wenn es da etwa heißt: „Ausländerhaß ist der denkbar beste Zement für gespaltene Nationen“ (S.244), so ist zu fragen, wie man eine derart generelle Aussage überprüft. Vielleicht an der amerikanischen Politik nach dem Bürgerkrieg? Für die Deutschen stimmte die Aussage nicht, denn der Zement, wenn er denn zu Bismarcks Zeit zum Bau des Hauses ihrer Nation Verwendung fand, hielt nicht, das Haus brach zusammen, und zwar mehrfach.

Gegenüber diesen beiden Büchern nimmt sich Krockows Beitrag zum Centenarium aus wie ein sympathischer Führer durch das Freilichtmuseum namens Geschichte. Wer vor allem wissen will, worüber die anderen reden, ist bei ihm bestens aufgehoben. Das Buch ist gut geschrieben und erlaubt dem Leser auf seinen Seiten einen längeren und angenehmeren Aufenthalt, als er bei den Kolumnen eines Handbuchs möglich wäre. So fängt es also an, das Bismarck-Jahr. Jürgen Busche

Johannes Willms: „Bismarck, Dämon der Deutschen“. München 1997, Kindler Verlag, 44,90 DM

Otto Pflanze: „Bismarck, der Reichsgründer“ (Band I), „Bismarck, der Reichskanzler“ (Band 2), München 1997, Verlag C.H. Beck, je Band 78 DM

Christian Graf Krockow: „Bismarck“. Stuttgart 1997, DVA, 48 DM