Bäume tragen die Wirtschaft

Finnland bricht ohne die Ausbeutung der Wälder zusammen. 40 Prozent der Exporte hängen am Holz. Von nachhaltiger Forstwirtschaft ist das Land weit entfernt  ■ Von Gudrun Giese

In Zipfelmütze, Daunenjacke und Gummistiefeln stapft Waldbauer Jukka Lyytiäinen durchs Unterholz. Stolz präsentiert er seinen Besitz in Mittelfinnland, nördlich der Stadt Varkaus. In Jukka Lyytiäinens vom Vater und Großvater ererbten Wald nach Spuren des Raubbaus zu suchen ist müßig. Selbstredend haben der Verband der Finnischen Forstindustrie und Enso, einer der drei großen finnischen Papierhersteller, einen Musterforstbetrieb ausgesucht, den sie den Besuchern aus Deutschland präsentieren.

In Lyytiäinens 350-Hektar- Wald gibt es keine Kahlschläge. Dort wo Bäume gerodet werden, bleiben stets einige besonders gut gewachsene Kiefern, Fichten und Birken stehen, die mit ihren Samen für natürliche Verjüngung des Bestandes sorgen. Ein echter Musterbetrieb. Doch die finnische Forstwirtschaft hat auch noch ein häßliches Gesicht. Seit vielen Jahren kämpfen Naturschützer gegen den Raubbau an den letzten Urwäldern Europas. Zum Beispiel in Karelien.

Erst im August 1996 hatten sich wieder einmal Mitglieder von Greenpeace in der ostfinnischen Provinz an Holzfällmaschinen gekettet, um gegen den Holzeinschlag zu protestieren. Inzwischen versucht die Regierung in Helsinki im Einvernehmen mit der Industrie, die nachhaltigen Imageschäden zu reparieren. Am 1. Januar dieses Jahres traten beispielsweise novellierte Wald- und Naturschutzgesetze in Kraft, die die Bewahrung und Pflege der Waldbestände stärker betonen.

Finnland ist neben Schweden das Land in der EU, das seine Volkswirtschaft zu einem erheblichen Teil auf Holz baut. Produkte der holzverarbeitenden Industrie machen mehr als vierzig Prozent der finnischen Nettoexporteinnahmen aus, hat die Standardisierungsarbeitsgruppe Waldzertifizierung Mitte April in einer Bestandsaufnahme geschrieben. Dieser Anteil ist so hoch wie in keinem zweiten Land und erklärt, warum Finnland sich massiv um Imageverbesserung für seinen Forstsektor bemüht.

Finnland gehört so auch zu den Ländern, die sich zur Einführung eines eigenen Zertifizierungssystems durchgerungen haben. Seit Juni 1996 gibt es eine Arbeitsgemeinschaft aus Waldbesitzern, Forstindustrie, Naturschützern und sozialen Verbänden, die für die Erarbeitung einheitlicher Kriterien der Waldbewirtschaftung zuständig ist. Wie in anderen Ländern auch wurde in Finnland die Debatte um Zertifikate für Holz und Holzprodukte aus umweltgerechter und nachhaltiger Bewirtschaftung 1992 in Gang gesetzt: Ein Jahr nach der Rio-Konferenz über Umwelt und Entwicklung verabschiedeten die europäischen Land- und Forstwirtschaftsminister in Helsinki eine Resolution. Ziel: gesamteuropäische Kriterien einer nachhaltigen Forstwirtschaft.

Doch Europa ist von einheitlichen Bewirtschaftungsrichtlinien weit entfernt. „Die Kommission sollte die Einführung eines international anerkannten Zertifizierungsverfahrens für die nachhaltige Waldbewirtschaftung prüfen“, heißt es in einer Entschließung des EU-Parlaments vom Januar dieses Jahres. Das lakonische Statement der EU-Kommission dazu lautet, es gebe keine abschließende Position zum Thema Holzzertifizierung. Der für Land- und Forstwirtschaft zuständige Kommissar Franz Fischler läßt keine Gelegenheit verstreichen, auf die nationale Zuständigkeit für die Waldbewirtschaftung zu verweisen. Und auf Nachfrage im Fachreferat läßt ein Mitarbeiter gegenüber der taz anklingen, daß „die Zertifizierung in Europa nichts für den Zustand der Wälder“ bringe – sie würden ohnehin nachhaltig bewirtschaftet. Die Zertifizierung von Holz sei nur etwas für die Länder mit tropischen Regenwäldern.

In einem sind sich Kommission, Europäisches Parlament und Mitgliedsstaaten einig: Der Wald ist primär ein Wirtschaftsgut, das zum Zwecke der Wohlstandsmehrung zu pflegen ist. So hatte auch das Europäische Parlament in einer Entschließung vom Januar festgehalten, daß „angesichts der Bedeutung des Forstsektors für Beschäftigung und Wohlstand in der EU [...] die kommerzielle Nutzung der Wälder ein vorrangiges Ziel der EU-Forststrategie sein“ sollte.

Zurück nach Finnland. 20 Millionen Hektar produktive Waldfläche birgt das Land, das entspricht 66 Prozent der Fläche. Sieben Prozent der erwerbstätigen Finnen arbeiten im Forstsektor; zum Bruttosozialprodukt trägt dieser Wirtschaftszweig zu rund acht Prozent bei – erheblich mehr als in den meisten anderen europäischen Ländern. EU-weit hat die Holzindustrie einen Anteil von 2,4 Prozent am Bruttosozialprodukt. Kein Wunder, daß sich in Finnland Forstindustrie und Waldbesitzer selbst für ein Zertifizierungssystem stark gemacht haben. Schließlich geht es auch darum, die strengen Vorgaben des „Forest Stewardship Council“ (siehe Kasten) zu mildern. Zwar hat die Standardisierungsgruppe Waldzertifizierung die FSC-Kriterien in das eigene Konzept miteinbezogen, aber in Teilen auch laxere Regelungen gefunden. „Ziel der Zertifizierung ist es“, heißt es in einem Papier, „die Pflege und Nutzung der Wälder in wirtschaftlicher, ökologischer, sozialer und kultureller Hinsicht unter Berücksichtigung marktwirtschaftlicher Gegebenheiten in nachhaltiger Weise zu steuern und damit auch die Möglichkeiten zur Vermarktung von Produkten der holzverarbeitenden Industrie zu verbessern.“

Die Waldexperten von Robin Wood beurteilen das finnische Zertifizierungssystem skeptisch: „Problematisch ist schon der Ansatz, ganze Regionen zu zertifizieren und nur im Ausnahmefall einzelne Forstbetriebe“, sagt Rudolf Fenner, Waldexperte der Umweltschutzgruppe. Längst sei es auch kein Problem mehr, die reine Holzmenge zu halten oder sogar zu steigern. „Es geht nicht um die Quantität, sondern um die Qualität. Und um die Erhaltung der Artenvielfalt in den Wirtschaftswäldern und den Erhalt der letzten Naturwälder in Karelien und Lappland.“

Rund 1,5 Millionen Hektar Wald (sechs Prozent der Forstfläche) stehen in Finnland unter Schutz. Mag sein, daß aufgrund der Zertifizierung und der lauter gewordenen Kritik ein Teil dieser Wälder vor allem in Nord- und Ostfinnland dauerhaft erhalten bleibt. Dafür kauft der Papierhersteller Enso zunehmend Birkenholz in Rußland ein. Auch dort gibt es dichte, uralte Naturwälder. Doch im Unterschied zu Finnland oder Schweden guckt hier kaum jemand kritisch hin, wenn diese Holzressourcen geplündert werden.