Rühes Platzpatronen gegen die Medien

Minister stellt sich hinter die Bundeswehr: Neue neonazistische und antisemitische Vorfälle in der Bundeswehr seien Teil einer „Kampagne“. Journalisten bezeichnet Rühe als „Trittbrettfahrer“  ■ Von K. von Appen und A. Rogalla

Hamburg/Berlin (taz) – Volker Rühe vertraut der Führungsakademie der Bundeswehr. Journalisten erregen seinen Groll. Neue Berichte über rechtsextreme Vorfälle tragen für den Verteidigungsminister „kampagnenartige Züge gegen die Bundeswehr“.

Rühe war gestern für einen raschen Besuch nach Hamburg gefahren. Vor gut 400 deutschen und ausländischen Offizieren machte er deutlich, daß die Einladung an den militanten Neonazi Roeder ein „unakzeptabler Fehler“ gewesen sei. Jetzt müsse untersucht werden, wie es dazu kommen konnte. Rühe betonte, es sei seine „Aufgabe, mich schützend vor die Truppe zu stellen“. Neue Vorfälle, wie sie gestern von den Magazinen Focus und Spiegel berichtet worden waren, qualifizierte er als „lancierte Falschmeldungen“ ab, mit denen „Trittbrettfahrer“ eine Plattform gegeben werde. „Ich werde es nicht zulassen, daß die Bundeswehr mit Dreck beschmissen wird“, sagte Volker Rühe.

In seiner neuen Ausgabe berichtet Focus über einen Vorfall, der sich im September 1996 im kroatischen Bundeswehrlazarett Trogir ereignet haben soll. Das Blatt zitiert zwei Offiziere, die nicht genannt werden wollen. Sie seien im September 1996 dabeigewesen, als nach einem Besuch hoher Militärs im Mannschaftsheim „die Korken knallten“. Eine „Horde von etwa 30 jungen Soldaten“ hätte „Sieg Heil!“ und „Heil Hitler!“ gebrüllt. „Auch ältere Kameraden saßen im Raum“, so das Blatt. Solch ein Vorfall sei niemals vorgekommen, sagte gestern ein Sprecher der Hardthöhe gegenüber der taz. Den Medien gehe es momentan darum, „mit nicht bewiesenen oder nicht beweisbaren Fällen“ den Ruf der Bundeswehr zu beschädigen.

Der Sprecher wehrte auch eine Aussage des Spiegel ab. In der vergangenen Woche, so das Magazin, habe ein Wissenschaftler der Führungsakademie im Kollegenkreis berichtet, „er habe gehört, daß Studierende der Bundeswehrhochschule in Hamburg bei einem Ausflug zur Gedenkstätte des Konzentrationslagers Neuengamme neonazistische Äußerungen gemacht hätten: „Es ist so kalt, leg im Krematorium mal ein paar Juden nach, die brennen so gut.“ Daraufhin sei es zu einer „Massenvernehmung“ gekommen. Mehr als 100 Offiziersanwärter seien befragt worden. Für den Bundeswehr-Sprecher ist an dem Spiegel-Artikel „nichts dran. Niemand hat solche Äußerungen gehört.“ Gleichwohl gab er zu, daß die jungen Soldaten nachts aus dem Bett geholt worden waren, um zu dem zitierten Vorfall auszusagen. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen. Zum Beweis, daß der Spiegel unseriös berichte, meinte der Sprecher, das Blatt könne für seine Aussage „noch nicht einmal eine eidesstattliche Versicherung nachweisen“, um die man gebeten habe. Um die sei bislang nicht nachgefragt worden, konterte der Redakteur des Berichts gegenüber der taz. Zu den konkret geschilderten Vorfällen hielt sich das Verteidigungsministerium bedeckt und verwies auf den parlamentarischen Untersuchungsausschuß, der sich in dieser Woche konstituiert. Danach werde klar sein, ob alle Standorte der Bundeswehr untersucht werden sollen und unter welcher Fragestellung dies geschehe.

Volker Rühe scheint sich auf seinem Posten fest verankert zu fühlen. An seiner eigenen Führungsstärke und dem „guten Geist der Bundeswehr“ ließ er gestern in Hamburg keinen Zweifel. Nach seinem öffentlichen Vortrag zog er sich für 45 Minuten mit Dozenten und Lehrgangsteilnehmern zurück. „Offen“ und „sehr gut“ habe man miteinander diskutiert, sagte Rühe, bevor er nach Berlin aufbrach, um Bundespräsident Herzog über die Entwicklung in der Truppe zu informieren.

Unterdessen hat sich auch Bundesinnenminister Kanther in die Auseinandersetzung um den Neonazi Roeder eingeschaltet. Vom Verfassungsschutz forderte er einen Bericht über Roeder an. Zuvor war bekannt geworden, daß dessen „Deutsch-Russisches Gemeinschaftswerk“ offenbar nicht mehr observiert wird. In früheren Jahren war es noch als „neonazistisch“ eingestuft worden. Im Verfassungsschutzbericht von 1996 tauchen aber auch andere Roeder- Organisationen dort nicht mehr auf.

Am Wochenende hatte die Bild am Sonntag einen Vermerk der Bundesregierung von Anfang Dezember zitiert, Roeders Verein sei „nicht signifikant rechtsextremistisch“. Dies wollte das Innenministerium gestern nicht bestätigen, aber auch nicht dementieren.