■ Bewerbungsschreiben: Das abschreckende Beispiel: An der Quelle des Lustprinzips
Sonja W. ist freiberufliche Lektorin bzw. Redakteurin. Sie hat einen Studienabschluß (wahrscheinlich Germanistik, obwohl unklar ist, wie sie an den gekommen ist, was Sie gleich verstehen werden) und wohnt in Frankfurt (sie könnte allerdings genauso woanders wohnen). Sie sorgt sich um ihr berufliches Weiterkommen, weshalb sie Bewerbungen verschickt (sehr löblich), allerdings ziemlich wahllos (weniger löblich). Ein Schreiben also, wie es jeden Tag in Redaktionen und Verlage gelangt und dort meist unbeantwortet in irgendeine mysteriöse Ablage bzw. in den Papierkorb wandert.
Dem wollte Sonja W. zuvorkommen – schon die Bewerbung selbst sollte den zuständigen Mann in der Personalabteilung aufhorchen lassen. Den „flinkfidelen Kick“, sich zu bewerben, so dichtete sie flott drauflos, hat ihr der Buchmessenkatalog „verpaßt“. Das Rundschreiben ist an die üblichen Verdächtigen gerichtet, an die „Sehr geehrten Damen und Herren“, und enthält kein Briefgeheimnis, außer dem, daß Sonja W. vor keinem Stilbruch zurückschreckt und dabei der festen Überzeugung ist, ganz unglaublich originell zu sein. Zunächst war ich zwar vollständig konsterniert, dann aber davon überzeugt, ein einzigartiges Dokument grotesker Lyrik vor mir zu haben, welches sich nur zitieren, nicht aber kommentieren läßt, weshalb ich jetzt auch sofort meine Klappe halte und ehrfurchtsvoll schweige:
„Sehr geehrte Damen und Herren, impulsiv inspiriert erdreiste ich mich, Ihnen mein Engagement als Macherin in der schreibenden Zunft zu präsentieren... Es könnte ja sein, daß es in Ihrem Medio-Portfolio für meine Fabulier- und Formulier-Applikationen eine wortkreative Blankostelle gibt, sozusagen einen rohen Bausatz für einen druckreifen Satzbau.
Als freiberufliche Lektorin/Redakteurin lebe ich meine Ambitionen so gut wie möglich aus. Insofern befinde ich mich (fast) an der Quelle meines Lustprinzips, obwohl ich mich ständig neu umtun muß, um an Basisdaten bzw. -fakten sowie ,Rohlinge‘ heranzukommen, damit ich den Fehlerteufel per Korrigier- bzw. den Stilwucher qua Redigierstift austreiben kann, hauptsächlich in belletristisch, philosophisch, psycho- & soziologisch sowie populärwissenschaftlich angelegten Inhalten. Zudem schreibe ich Biographien, Chroniken, Exposés, Einführungstexte (von der Recherche bis zur Satzreife; je nach Bedingtheit oder Erfordernis salopp- bzw. solide-seriös) und sozio- ironische Aufsätze im scharfkantigen Feuilleton-Stil, bereite Markt- Analysen lesefreundlich auf und befasse mich mit Manuskript-Gutachten, Buch-Rezensionen und der Schlußredaktion einer Fachzeitschrift. Konzeptionen für kulturelle, künstlerische und schreibdarstellerische Projekte gehören ebenfalls zu meinem Tätigkeitsprofil...
Und wenn mich etwas gar zu heftig auf der Seele pikst, schreibe ich es in Aphorismen und Kurzgeschichten fest; ein Psychodrama (eventuell als Theaterstück) und ein Psychokrimi (vielleicht als Filmstoff) sind in Arbeit. Ich würde mich sehr freuen, wenn meine Intention Ihren Nerv angenehm-kontextuell stimulieren könnte. Haben Sie möglicherweise eine Projektionsfläche für meine sozio-ironischen Aufsätze zu den Themen: Sport aus der Sicht einer Frau, Diät- Fitneß-Jugend-Wahn, Bits & Bytes gegen Humanität & Kooperation und Brief an einen Weltpräsidenten (Erdbeben, Umweltschäden etc. betreffend)?“
Nein, dieser Brief durfte nicht den gewöhnlichen Gang in den Papierkorb antreten. Dieser Brief sollte als mahnendes Beispiel für alle gelten, die noch nicht die Flinte des Lebens ins Korn geworfen haben, denn er bringt Sonnenschein und Heiterkeit in die düsteren Verlagshäuser, und das ist doch wahrlich selten genug der Fall. Klaus Bittermann
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