"Die Frage konnte nicht warten"

■ Der französische Grünen-Abgeordnete Guy Hascoet über die Ausländergesetze, den Frust, nichts durchgesetzt zu haben, und die Gründe seiner Fraktion, die Parlamentsabstimmung zu boykottieren

taz: Warum nehmen die Grünen an der Abstimmung über das Einwanderungsgesetz nicht teil?

Guy Hascoät: Der Text steht im Widerspruch zu unserer Linie, aber wir können uns auch nicht einfach enthalten. Nachdem wir in 120 Stunden Parlamentsdebatte über Staatsangehörigkeits-, Einreise- und Aufenthaltsgesetz keine einzige substantielle Verbesserung durchsetzen konnten, sind wir in der Nacht zu Samstag aus der Nationalversammlung ausgezogen.

Warum stimmen Sie nicht einfach gegen das Gesetz?

Das hätte bedeutet, mit der RPR und der UDF (neogaullistische und liberalkonservative Opposition, d. Red.) gemeinsam zu stimmen. Außerdem wäre es ein Votum für die Beibehaltung der Pasqua- und Debré-Gesetze gewesen. Beides hätten wir nicht verständlich machen können.

Hat die Parlamentsdebatte wirklich gar nichts gebracht?

Na ja. Das Beherbergungszertifikat ist abgeschafft. Und Menschenrechtler und andere, die mit „Papierlosen“ zusammenarbeiten, riskieren nicht mehr unbedingt eine Strafe. Aber abgesehen von der automatischen Visavergabe für Opfer von Arbeitsunfällen, einer recht marginalen Frage, konnten wir nichts erreichen.

Warum konnten sich diejenigen nicht durchsetzen, die im Februar für die Abschaffung der Pasqua- und Debré-Gesetze demonstriert und petitioniert haben – darunter neben Grünen und Kommunisten auch viele Sozialisten?

Premierminister Jospin wollte unbedingt Ausgewogenheit in dieser Frage. Er wollte einerseits ein paar Ungerechtigkeiten gegenüber Ausländern korrigieren, andererseits die Sicherheitsvorkehrungen beibehalten. Konkret bedeutet das, daß die Gesichtkontrollen nach Hautfarbe, mit denen manche Ausländer in Frankreich täglich konfrontiert sind, weitergehen. Dasselbe gilt für die willkürliche Visavergabe. Auch in Zukunft werden abgelehnte Nordafrikaner keine Begründung erfahren.

Hat die momentane Einwanderungsdebatte die linke Regierung geschwächt?

Ich glaube nicht. Aber es findet eine Differenzierung innerhalb der Linken statt. Jenseits dieses Gesetzes – das keine Kleinigkeit ist – zeichnen sich weitere kontroverse Debatten ab. Dabei gibt es auf der einen Seite eine Bestätigung der Werte der III. Republik – Nation, Republik, Zentralismus –, auf der anderen Seite das Streben nach dem Keim für eine IV. Republik, mit mehr Subsidiarität bei der Entscheidungsfindung und größeren Kompetenzen für die Regionen und für Europa. Das wird eine historische Auseinandersetzung zwischen alten und neuen Linken. Diese Spaltungen werden auch innerhalb der traditionellen Rechten stattfinden.

Es hat nur geringfügige Verbesserungen im Gesetz und eine extrem polemische und populistische Debatte in der Nationalversammlung gegeben. War es ein Fehler, jetzt ein neues Ausländergesetz einzubringen?

Nein. Das Ergebnis ist zwar schlecht. Aber die Frage konnte nicht warten. Wir Grünen werden zusammen mit einigen Kommunisten weiter an einer Neufassung der Gesetzgebung arbeiten, die dann die Abschaffung der Pasqua- und Debré-Gesetze beinhalten wird. Das nächste Rendezvous ist in einigen Monaten. Interview: Dorothea Hahn