Schengen-Daten frei Haus

■ Panne wirft Frage nach Datenschutz auf

Brüssel (taz) – Der Verrat streng geheimer Daten aus dem Schengen-Computer hätte in jedem Land passieren können, auch in Deutschland. Wie der Kontrollausschuß nach seiner Sondersitzung in Wien einräumte, kann die illegale Weitergabe von Daten durch Polizeibeamte nicht ausgeschlossen werden. Der Vorfall zeige, so die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, welche Gefahren die unkontrollierte Sammelleidenschaft internationaler Polizeizusammenarbeit berge.

Wie erst jetzt bekannt wurde, hatte die belgische Polizei bereits Mitte November einen Beamten festgenommen, der monatelang Listen streng vertraulicher Informationen aus dem Schengener Informationssystem an organisierte Verbrecherbanden verkauft hatte.

Im Schengener Fahndungssystem SIS werden seit März 1995 personenbezogene Daten über Menschen gespeichert, die von den Polizeibehörden der Mitgliedsstaaten gesucht, observiert oder verdächtigt werden. SIS ist das Kernstück des Informationsaustausches zwischen neun EU-Staaten. Es soll den Wegfall der Grenzkontrollen kompensieren, der bereits 1985 in Schengen beschlossen wurde. Doch während die Schengen-Mitgliedsregierungen die Grenzen nur zögerlich öffnen, haben sie das Fahndungssystem nach kleinen Pannen zügig ausgebaut. 4,5 Millionen Daten sind gespeichert, wie viele Polizisten Zugriff haben, ist selbst beim Schengen- Sekretariat nicht zu erfahren. Eine Kontrolle durch das Europaparlament oder den Europäischen Gerichtshof ist nicht vorgesehen, weil nicht alle EU-Länder teilnehmen.

Vor allem Großbritannien und die skandinavischen Länder wollen ihre Grenzkontrollen beibehalten. Das nun aufgedeckte Leck im Fahndungssystem wirft viele Fragen nach der Zuverlässigkeit des Datenschutzes auf. Der festgenommene Beamte saß an der Quelle, er war seit 1993 Mitarbeiter im belgischen Verbindungsbüro Sirene, von wo die belgischen Daten in den Straßburger Zentralcomputer eingespeist werden. Solche Mitarbeiter müssen sich nach Angaben des deutschen Innenministeriums strengen Sicherheitsüberprüfungen unterziehen.

Das belgische Innenministerium bestätigte gestern, daß der SIS-Mitarbeiter von „einer kriminelle Organisation gezielt“ konkrete Aufträge bekommen habe. Die Sicherheitsvorkehrungen sollen nun verschärft werden. Bundesinnenminister Manfred Kanther fand dennoch Beruhigendes an dem Vorfall: Es habe sich nicht um Hacker gehandelt, die von außen in den Computer eingedrungen seien. Alois Berger