: Der Kampf ist noch nicht vorbei
■ Ausgerechnet am Versöhnungstag wirft Südafrikas Präsident Mandela der weißen Opposition vor, eine Konterrevolution vorzubereiten. Damit bereitet er das Land auf die Politik seines Nachfolgers vor. Aus Mafik
Der Kampf ist noch nicht vorbei
Die Stadt Mafikeng prangt in Schwarz-Grün-Gelb. Wenige Tage vor Weihnachten ist das Provinznest im Nordwesten Südafrikas zu ungewohntem Leben erwacht. Überall wehen ANC-Fahnen, überall sind Delegierte und Fans in quietschgelben T-Shirts zu sehen. Vor dem Audimax der Universität, wo die fast 4.000 Delegierten tagen, findet tagsüber ein kleines Volksfest statt. Kinder führen traditionelle Tänze auf.
Auch die Parteispitze gibt sich ganz volksnah. Die Mitglieder des Vorstandes tragen Hemden im Afrika-Look oder eben die unvermeidlichen T-Shirts. Sogar der Kronprinz, Thabo Mbeki, leuchtet in Gelb. Bis zu seiner gestrigen Wahl blieb er im Hintergrund, saß allerdings als Vize neben Nelson Mandela auf dem Podium.
Doch in der Parteitagsregie ist der neue Präsident schon allgegenwärtig. Die fünfstündige Rede, die Mandela am Dienstag als Rechenschaftsbericht über seine letzte Amtszeit hielt, war eine Überleitung in die neue Ära. Manchmal der Erschöpfung nahe, griff Mandela zu ungewöhnlich scharfer Polemik, entwickelte wüste Verschwörungstheorien.
Die Medien, die weißen Oppositionsparteien, regierungsunabhängige Organisationen, alle, alle sind gegen den ANC. Die Regierungspartei, die sich um den Machterhalt keine Sorgen zu machen braucht, ist plötzlich von allen Seiten von Feinden umstellt. Zwar räumte Mandela ein, daß Südafrika knapp vier Jahre nach dem Machtwechsel einigermaßen stabil sei. Dennoch sei eine „konterrevolutionäre Verschwörung“ im Gange. Es gebe „Vertreter der alten Ordnung“, die „keine Loyalität zum neuen Südafrika“ zeigten und nur auf die Chance warteten, „das demokratische System zu kompromittieren“. Ihre Mittel: „Die Schwächung des ANC und seiner Verbündeten; die Subversion der Wirtschaft; die Aushöhlung des Vertrauens unseres Volkes und des Restes der Welt in unsere Fähigkeit, zu regieren.“ Es gebe bereits „praktische Aktivitäten“ in diesem Sinne: „Die Förderung und Ausübung von Verbrechen; die Schwächung und Lähmung des Staatsapparates, den Diebstahl öffentlicher Güter, darunter Waffen und Munition; den Aufbau alternativer Strukturen.“
Namen nennt der Präsident nicht. Es würde ihm auch schwerfallen, Nachweise zu erbringen. Statt dessen prügelt er auf die weiße Opposition ein. Diese habe nur ein Ziel: ihre Privilegien zu erhalten und den ANC zu zerstören. Viele, die am eifrigsten Versöhnung predigten, so Mandela, „definieren nationale Versöhnung als Maßnahmen, mit denen die weiße Minderheit für den Verlust ihres politischen Machtmonopols mit der Garantie privilegierter Stellungen im sozioökonomischem Bereich entschädigt wird“. Starke Worte für einen, dessen politische Vision die der Versöhnung der Rassen in einem demokratischen Südafrika ist. Starke Worte auch an einem nationalen Feiertag, der Versöhnungstag heißt.
Doch hier im Mafikeng wird vorbereitet, wohin das Land künftig gehen wird. Es ist nicht Mbekis Sache, für Versöhnung einzutreten. Er spricht vom Umverteilen, von Opfern, die die Weißen endlich bringen müssen. In Südafrika, das wird mit Mandelas Rede klar, findet nicht nur ein Generationswechsel, sondern ein politischer Paradigmenwechsel statt.
Der ANC bestreitet das heftig. Man zieht sich dann gern darauf zurück, eine Befreiungsbewegung und keine Partei zu sein, die kollektiven Führungsprinzipien verpflichtet ist. Individuen sollen, dürfen da keine Rolle spielen. In der Tat ist die Macht des 60köpfigen Parteivorstandes groß und soll weiter ausgebaut werden. Doch wie Mbeki zu behaupten, es spiele keine Rolle, wer an der Spitze steht, ist Augenwischerei. Jeder weiß, was Thabo Mbeki von Nelson Mandela unterscheidet.
Doch der ANC ist unsicher. Denn mit der Macht kommen Probleme, durch die andere Bewegungen auch gegangen sind: Allzu bequeme Mehrheiten locken „Karrieristen“ an, wie man das nun abschätzig nennt, also Leute, die von Befreiungskampf keine Ahnung haben. Plötzlich ist auch Mandela der Ansicht, der Kampf sei noch längst nicht vorbei und die Bewegung brauche weiterhin „Bataillone von Revolutionären“.
Doch kann eine Regierungspartei den Charakter einer Befreiungsbewegung erhalten? Es ist leicht, die Delegierten von der Basis mit solchen Schlagworten zu ködern. In der längst nicht mehr einigen „Bewegung“ streiten indessen die Frakionen: Linke gegen Rechte, Afrikanisten gegen Anhänger von Versöhnung, Kommunisten gegen Marktwirtschaftler, Populisten gegen Bewahrer der reinen Lehre. Mit allen Mitteln hat die Parteispitze schon im Vorfeld versucht, den Eindruck der Einigkeit herzustellen, obwohl die Risse sichtbar sind.
Es ist ein bewährtes Mittel, dann auf einen äußeren Feind zu verweisen. Niemand konnte aber entgehen, wie sich dabei die Akzente verlagern. Denn Mandela fand nur wohlwollende Worte für den einstigen Erzfeind, die Inkatha-Freiheitspartei und ihren Vorsitzenden, Innenminister Buthelezi. In den achtziger Jahren kamen fast 20.000 Menschen in bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen beiden Bewegungen ums Leben. Das alles scheint vergessen zu sein. Schon kurz vor dem Parteitag hatte Mandela vorgeschlagen, die beiden sollten sich doch vereinigen.
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