Diagnose: Handlungsunfähig

■ Bonn blockiert tschechisch-deutschen Zukunftsfonds

Die niedergehende Ära Kohl weist manche Ähnlichkeiten mit dem niedergehenden Wilhelminismus auf – vor allem im Stilistischen. „Nichts Peinliches sei mir fremd“ könnte die Hauptmaxime der gegenwärtigen Bundesregierung lauten. Einerseits wird versichert, noch in diesem Jahr werde der tschechisch-deutsche Zukunftsfonds unter Dach und Fach gebracht. Spät, aber nicht zu spät, um ein paar tausend Opfern der Nazi-Okkupation in Tschechien ihre letzten Jahre noch ein wenig zu erleichtern. Wie unter innerem Zwang wird andererseits prompt alles getan, um diesen positiven Effekt (er ist klein genug!) in der Öffentlichkeit möglichst wirkungsvoll zu konterkarieren.

Wie leicht, wie geräuschlos hätte der Verwaltungsrat der Stiftung, wie schnell und möglichst unbürokratisch hätte er seine Arbeit aufnehmen können. Aber nicht doch! Erst muß eine Auseinandersetzung auf den Tisch, ob Funktionäre der Sudetendeutschen Landsmannschaft in den Gremien Platz nehmen dürfen. Dabei bestimmt das neue, beidseitig akzeptierte tschechische Stiftungsgesetz eindeutig, daß potentiell Begünstigte, wozu nach eigenem Bekunden auch die Landsmannschaft zählt, in der Stiftung „Zukunftsfonds“ nichts zu suchen haben. Der Außenminister läßt verlauten, das bilaterale Abkommen zur Stiftungsgründung könne noch in diesem Jahr unterzeichnet werden, was nichts anderes heißen kann, als daß es unterschriftsreif ist, daß alle Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt sind. Gestern teilte der Bundeskanzler mit, er habe mit dem tschechischen Präsidenten einen Termin für Ende nächsten Jahres vereinbart, so daß „noch vorhandene“ Schwierigkeiten ausgeräumt werden könnten.

Und diese Regierung attestiert aus dem Munde von Außenminister Kinkel den tschechischen Kollegen, sie seien derzeit „handlungsunfähig“. Seltsam, zur Unterzeichnung der Nato-Erweiterungsverträge scheint die Handlungsfähigkeit der Tschechen gestern noch gereicht zu haben. Prompt erklärt der tschechische Außenminister, er sei sofort unterschriftsbereit. Es war Klaus Kinkel selbst gewesen, der in den vergangenen Monaten auf eine rasche Stiftungsvereinbarung drängte. Warum jetzt diese Spekulationen darüber, was die Regierung Klaus noch zustande bringt? Dabei sollte Klaus Kinkel doch wissen: Wer noch amtiert, der führt noch die Geschäfte! Christian Semler

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