Yeah Yeah! - Von Volk zu Volk

■ 100mal "Achims Hitparade"! Alles übers Vorleben des letzten Überlebenden des DDR-TV

Heute ist es wieder soweit – Comedy im MDR, dem öffentlich-rechtlichen Kuschelsender aus dem Osten. Zur Fun-Parade für die ältere Generation lädt wie immer ein Mann, der wie ein halbfertiger Herzbuben-Klon aus Wildeck daherkommt, in Wirklichkeit aber der letzte Mohikaner des DDR-Fernsehens ist: Achim Mentzel. Wenn er zu „Achims Hitparade“ ruft, werden Träume wahr. Und so kommt die Stunde des volkstümelnden Grauens bereits nun schon zum hundertsten Mal über mitteldeutsche Mattscheiben.

Für die einen ist sie die einzige Sendung des Ost- Fernsehens, die ohne Ausfall über die Wende kam. Für die anderen ist Achims Ostmitbringsel in die deutsche Einheit dagegen der TV- Beweis, daß es mit der Selbstbefreiung der DDRler soweit nicht hergewesen sein kann und auch 40 Jahre Sozialismus nicht reichten, um den Menschen wenigstens in Sachen Geschmack zu formen. Oder eben gerade das.

Immerhin bietet die Show alles, was die Quote jodeln läßt: gute Laune im Mitklatsch-Format und gnadenlose Gemütlichkeit. „Achims Hitparade“ hat's so dicke, daß es nicht nur zur Qualifikation fürs weltweite Deutsche Welle TV und einen Live-Abstecher nach Kanada 1996 reichte, sondern selbst Grimme-Preisträger aufmerken. Wie „Mattscheiben“-Beobachter Kalkofe, den die Figur des Zonenzombis durch ihre Übereinstimmung von nix Inhalt und nix Form einen dauernden Anlaß zum wohligen Würgen bescherte. Freilich hate er nicht mit der entwaffnenden Dankbarkeit des Ossis gerechnet. Der fand Kalkofes verbale Kotzattacken nämlich richtig toll und schickte aus seinem Stadl bald versteckte Grußbotschaften an „Kalki“. Das Schunkel-Fossil hatte wirklich Humor, wie Spötterbote Oli nach einem persönlichen Feindbildbesuch bald feststellen mußte. Der Rest ist Legende: Mentzel gelangte in die „Mattscheiben“-Specials plötzlich als Mitmoderator, wofür sich nun Kalkofe als Überraschungsgast Achims Hitparaden-Publikum stellen soll. Ob der sich live vor die volkstümelige Meute traut, ist noch nicht sicher.

Dabei könnte er die nochmal richtig schocken, indem er das Vorleben ihres Achims enthüllt. Der war nämlich früher ein ganz anderer, einer, der den Rock 'n' Roll zentnerweise in sich hatte (wovon noch vier Ehen und acht Kinder künden).

Mentzel galt mit seinem 1963 in Ost-Berlin gegründeten „Diana- Show-Quartett“ als einer der exaltiertesten Vertreter der dortigen „Yeah-Yeah-Musik“ (O-Ton Genosse Ulbricht). Zur Fan-Clique gehörten die berüchtigten Gammler vom Bahnhof Lichtenberg, die DDR-weite Berühmtheit in Fragen der unsozialistischen Lebensweise erlangten und nach Konzerten von Achims Combo schon mal ein paar Straßenbahnwaggons zerlegten. Weil Mentzel mit seiner Bühnenshow im „Who“-Stil regelmäßig das Randale-Vorspiel lieferte und deshalb nicht lange als Vorbild der Jugend taugte, wurde die Band wie viele andere Mitte der 60er aus dem Verkehr gezogen. Später spielte Mentzel in Big Bands, blieb nach dem Auftritt bei einem Kinderfest des West-Berliner SED-Auslegers SEW mal eben für ein halbes Jahr im Westen (wo er in saarländischen Nachtbars sang), kehrte dann reumütig zurück und gründete darauf eine Band mit der mindestens ebenso verrückten Nina Hagen.

Und mit Udo Lindenberg, der im Osten auch für einen Apologeten wilder Zeiten gehalten wurde, traf sich Mentzel in Ost- Berlin zu einem Geheim- Gig. Doch als ihn der brave „DDR-Pseudolyrikrock“ zu sehr nervte, ging's los mit lustig, und er beglückte die in der DDR so beliebten Frauentags- und Betriebsfeiern mit Stimmungsschlagern. Durch die Welt der Festzelte tingelt er heute immer noch – und daran wird sich so schnell nichts ändern. Denn einerseits genießt er durch seinen „Mattscheiben“-Ruhm mittlerweile kultige Verehrung unter jungen Musikfreunden.

Und außerdem ist das „zweite wirtschaftliche Standbein“ des Stimmungsbringers kürzlich leider umgeknickt – Mentzels Cottbuser Dachdeckerfirma ging pleite. Gunnar Leue

„Achims Hitparade“, heute wieder um 20.15 Uhr im MDR