In zwei Stunden Rom sperren

Italiens Milchprotestler finden prominente Befürworter – und zahlreiche Nachahmer. Regierung befürchtet einen Dominoeffekt für andere EU-Länder  ■ Aus Torrinpietra Werner Raith

Der Ort könnte strategisch nicht besser gewählt sein: nur gut dreißig Kilometer von Rom entfernt, an einer Stelle, wo sich die Autobahn Genua–Rom mit der alten Konsularstraße Aurelia kreuzt; nur gute fünfzehn Kilometer weiter südlich der Zubringer zum Flughafen Fiumicino-Leonardo da Vinci; zur anderen Seite der römischen Peripherie sind es nicht mehr als fünfzig Kilometer. Wer „diese Stelle hier hat, dem gehört Rom. In zwei Stunden kann man alle Zugänge sperren“, sagt Luigi Pagallo von den Basiskomitees Milchhersteller.

Betrachtet man die eindrucksvolle Streitmacht von dreihundert bis vierhundert Traktoren, manche mit Jauchewagen hintendran, andere mit Milchfässern, so könnte man der martialischen Erklärung schon einigen Glauben schenken. Italiens Kuhhalter sind auf dem Kriegspfad, noch immer, obwohl die Regierung ihnen die Strafen für zuviel Milchverkauf zu 80 Prozent erstatten wird: sie wollen alles, jedenfalls die Mitstreiter der hier am Straßenrand versammelten Basiskomitees. Sie haben sich von den Bauernverbänden abgespalten.

Dennoch sind nicht sie es, die die Mitte-links-Koalition wirklich beunruhigen. Furcht flößt den Politikern vielmehr das ein, was die zumindest überwiegend erfolgreiche Aktion der Landherren nach sich ziehen könnte – und teilweise bereits nach sich zieht: einen Dominoeffekt, der zunächst das ganze Land, dann auch andere EU-Staaten befallen könnte. Alarmiert haben Polizisten der Regierung gemeldet, daß inzwischen zahlreiche Holländer, Deutsche, Franzosen, Spanier eingetroffen sind und sich über die Organisation des Ausstands informieren. Nichts kann Ministerpräsident Romano Prodi derzeit aber weniger gebrauchen als Epidemien, die von seinem Land ausgehen – schließlich hat Italien das Ticket für die erste Euro-Gruppe noch immer nicht in der Tasche.

Weil die Kuheigner trotz starker Mitschuld nun doch erfolgreich sind, kommen auch andere Produzenten auf den Geschmack. In Unteritalien stehen die Olivenölhersteller auf der Straße. Ihnen paßt nicht, daß das heimische Olio d' Uliva seit dem Fall der Zollschranken von Importen aus anderen EU-Ländern preislich mächtig unter Druck gerät. Das sehen mittlerweile auch die Zuckerhersteller so. Seit Wochenmitte gesellen sich dazu die Reisbauern Oberitaliens, die die Konkurrenz aus den Oststaaten fürchten: sie haben die Börsen ihrer Handelszentren besetzt. Und alle, alle drohen mit dem Marsch auf Rom.

Ministerpräsident Romano Prodi hat, zum erstenmal erkennbar im Fernsehen, die Contenance verloren: Mit herausquellenden Augen und stotternd schimpfte er auf die Basiskomitees, die sich nicht den inzwischen erreichten braven Einverständniserklärungen der großen Verbände beugen wollen. Die Streithammel erhalten mehr und mehr Befürworter: Die sezessionistische Lega Nord hat sich mit den Milchherstellern, die größtenteils aus ihrer Region kommen, gleich fest solidarisiert, auch noch nachdem diese Jauche auf die Straße und gegen Polizisten gespritzt hatten. Auch die Rechtsopposition hat den Feldherren Verständnis signalisiert.

Eiligst reisten gleich mehrere Minister nach Brüssel, die EU- Partner zu beruhigen: spätestens an Weihnachten sei der Spuk vorüber, undenkbar, daß die Bauern ihre Familien ohne sich feiern ließen. Mag sein. Doch der große Knaller könnte gerade vor den Weihnachtstagen kommen: am 23. Dezember wollen die Lkw-Fahrer dem Beispiel der Landwirte folgen und die Straßen besetzen. Sie sehen sich als Sturmspitze aller Selbständigen im Lande, und denen will die Regierung eine Reihe von Extrawürsten wegschneiden, wie etwa besonders früh in Rente zu gehen.