■ Nebensachen aus Brüssel
: Europas Rute für unartige Journalisten

Pünktlich zur Vorweihnachtszeit lädt uns das Europaparlament zur Besinnung ein. Wir Journalisten sollen unser Gewissen erforschen, ob wir das hohe Haus auch immer seiner Würde entsprechend darstellen. „Vertreter einer bestimmten Presse“, mahnt die Fraktionschefin der Sozialdemokraten im Europaparlament, Pauline Green, wollten „lediglich Unfrieden stiften.“

Bevor wir zu den Bußhandlungen kommen, die sich Verwaltung und Parteispitzen für uns ausgedacht haben, sollten wir deshalb vielleicht die drei Gebote durchgehen, die Julian Priesley, Generalsekretär des Europaparlaments, in einem Brief an den Parlamentspräsidenten sinngemäß so definiert hat: 1. Du sollst nicht die Immobilienpolitik der Institution angreifen, 2. Du sollst nicht die Aufwandsentschädigungen der Abgeordneten kritisieren und 3. Du sollst nicht den freiwilligen Pensionsfonds erwähnen.

Kein Brüsseler Journalist ist hier frei von Schuld, auch wenn ich im ablaufenden Jahr versäumt habe, an den Pensionsfonds zu erinnern, mit dem sich die Mehrheit der Abgeordneten zwei Drittel ihrer privaten Altersversorgung durch Steuern finanzieren lassen. Und auch den Artikel über die Immobilienpolitik schiebe ich seit langem vor mir her. Ohne mir über die Gefahr für den Frieden klar zu sein, wollte ich beschreiben, daß sich das Europaparlament in Brüssel und Straßburg zwei neue Parlamentsgebäude bauen ließ, für zusammen rund vier Milliarden Mark.

Beichten muß ich trotzdem: beim 2. Gebot bin ich gleich mehrfach schwach geworden. Ich habe nicht nur die pauschale Erstattung von Reisekosten kritiisiert, die gar nicht angefallen sind, sondern auch den Mißbrauch der Sitzungsgelder. Ein britisches Fernsehteam hat mich zu dieser Handlung verführt. Die versteckten Kameras hatten Abgeordnete gefilmt, die sich morgens in die Anwesenheitslisten des Parlamentes eingetragen und damit Aufwandsentschädigung für einen ganzen Sitzungstag kassiert haben, obwohl sie eine halbe Stunde später am Flughafen für den Heimflug eincheckten.

Weil wir also das Vertrauen des Europaparlaments verspielt haben, haben die Parteispitzen beschlossen, uns künftig nicht mehr in Versuchung zu führen. Anwesenheitslisten werden nicht mehr öffentlich ausgehängt. Ein CDU-Abgeordneter will, daß Journalisten die Büros nur noch nach Anmeldung betreten dürfen. Das Filmen in den Cafés und Restaurants des neuen Brüsseler Parlaments ist künftig tabu, und wer einen Abgeordneten an seinem Schreibtisch aufnehmen will, soll von Sicherheitskräften begleitet werden – vermutlich, um zu verhindern, daß die Duschen ins Blickfeld geraten, mit denen die neuen Büros ausgestattet sind, für je 30.000 Mark.

Weil das alles noch keine saubere Berichterstattung garantiert, hat die Parlamentsverwaltung zu Gegenwehr gerüstet. Eine schnelle Eingreiftruppe unter Leitung einer Helen McAvoy wird künftig in allen europäischen Zeitungen und Fernsehsendungen nach Attacken gegen den Ruf des Hauses fahnden und sofort zurückschlagen. Da die Angriffe auf „völlig oder teilweise falschen Informationen“ beruhen, wie Generalsekretär Priesley dem Parlamentspräsidenten versichert, wird Frau McAvoy die Wahrheit in Pressemitteilungen und vermutlich auch in Leserbriefen zurechtrücken.

Nur die Grünen im Europaparlament stänkern wieder einmal gegen die Bunker-Hausordnung und reden von notwendiger Transparenz und solchen Sachen. Aber das hat die Sozialistenchefin Pauline Green durchschaut: Diese „Selbstdarstellungskünstler“ schürten „die Negativberichterstattung“ ausschließlich aus eigennützigen Motiven. Und ab jetzt zeigt sich das Europaparlament nur noch gut gebaut, gerecht entlohnt und frisch geduscht. Alois Berger