: Disziplin bei vierzig Grad im Schatten
Auf dem am Wochenende beendeten Parteitag des südafrikanischen ANC folgen die über 3.000 Delegierten brav ihrer Führung. Zum Schluß sind alle erleichtert: Die Einheit blieb gewahrt, Überraschungen blieben aus ■ Aus Mafikeng Kordula Doerfler
Phumla Makubata ist enttäuscht. Ihre Genossen, die aus allen Landesteilen angereist waren, wird sie erst in fünf Jahren wiedersehen. „Das ist zu lange“, meint sie. „Wer weiß, was bis dahin passieren kann.“ Denn der 50. Parteitag des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) ist seiner Führung gefolgt und hat beschlossen, künftig nur noch alle fünf Jahre ein solches Mammuttreffen abzuhalten.
Der ANC hat akute Geldnöte. Seitdem er auf der Regierungsbank sitzt, laufen ihm die zahlenden Mitglieder weg. 400.000 sollen es in ganz Südafrika noch sein, die jährlich einen Beitrag von umgerechnet 4,50 Mark entrichten müssen. Das ist viel zu wenig, um den riesigen Apparat zu unterhalten und erst recht zu wenig, um mehrere tausend Delegierte fast eine Woche lang unterzubringen und zu verpflegen. Gerade für Delegierte aus den ländlichen Gebieten aber ist der Parteitag die einzige Möglichkeit, mit der ANC-Führung in Kontakt zu kommen.
Phumla Makubata hat die Woche in Mafikeng genossen. Die beschwerliche mehrtägige Anreise und die engen Unterkünfte schmälern das Erlebnis nicht. Das staubige Nest im Nordwesten Südafrikas ist weit mehr als 1.000 Kilometer von ihrem Heimatort in der Transkei entfernt. Doch es gibt etwas Verbindendes: Auch Mafikeng liegt in einem ehemaligen Homeland, Bophutatswana. Die Abgeordnete von der Küste weiß, wovon ihre Genossen in Mafikeng sprechen, wenn es um die Integration der Kunstprodukte aus der Apartheid-Zeit geht.
Die Stimmung unter den mehr als 3.000 Delegierten ist gut. Zwar soll es wegen einzelner Anwärter um hohe Parteiämter sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen sein. Doch Anlaß zu Klagen oder gar Rügen gibt es diesmal nicht. Das war auf dem letzten Parteitag Ende 1994 in Bloemfontein noch anders. Nelson Mandela mußte sich damals für randalierende Parteitagsbesucher bei den Stadtoberen entschuldigen.
Am Ende sind alle erleichtert, daß sich der Personalwechsel an der Spitze so reibungslos vollzogen hat und die befürchtete Konfrontation um hohe Ämter ausgeblieben ist. „Wir gehen aus dem Parteitag einiger hervor als je zuvor“, sagt Thabo Mbeki am Samstag in seiner ersten Rede als neuer ANC- Präsident. Man applaudiert ihm. „Genau, so ist es“, tönt es von den Hinterbänken in der riesigen Halle. Die sind so weit von der Tribüne weg, daß man ein Fernglas braucht, um verfolgen, was sich vorne genau abspielt.
Im Gegensatz zu deutschen Parteimitgliedern sind die der einstigen Befreiungsbewegung höchst diszipliniert. Es gilt als eine Ehre, in Mafikeng sein zu dürfen, und geduldig folgt man endlosen Reden bei fast 40 Grad im Schatten. Vor halbleeren Reihen zu sprechen bleibt der ANC-Führung erspart. Allerdings sorgt sie auch selbst dafür, daß das so ist. Die einzelnen Provinzen sind straff organisiert, die Vorsitzenden achten genau darauf, wer wie abstimmt. Kaum jemand wagte die Hand zu heben, als im ersten Durcheinander nach der Nominierung von Winnie Madikizela-Mandela so etwas wie eine Probeabstimmung stattfand.
Gemurrt wird nur leise und am liebsten nicht öffentlich. Alle inhaltlichen Debatten finden ohnehin hinter verschlossenen Türen statt. Dabei haben einzelne allen Grund, unzufrieden zu sein: die Bündnispartner aus den Zeiten des Kampfes gegen die Apartheid zum Beispiel, der Gewerkschaftsverband Cosatu und die Kommunistische Partei. Denn der Parteitag beschließt, das von diesen Organisationen scharf kritisierte Wirtschaftsprogramm der Regierung weiter fortzuführen. Das war bisher weder sonderlich erfolgreich noch hat es auch nur entfernte Ähnlichkeit mit den marxistischen Zielsetzungen von einst.
Viele Beschlüsse tragen schon die Handschrift des Ökonomen Mbeki, der vor allem der Wirtschaft Kontinuität signalisieren möchte. Mit geschickter Personalarithmetik gelingt es vorerst, die Unruhe zu befrieden und Einigkeit zu wahren: Neuer Generalsekretär ist mit Kgalema Mothlanthe ein langjähriger Gewerkschafter. Manchem mag es indessen trotzdem schon dämmern, daß die Allianz zwischen Partei und Gewerkschaft eines Tages aufgekündigt werden könnte.
Überraschende Beschlüsse wurden auf dem 50. ANC-Parteitag nicht gefaßt und waren auch nicht zu erwarten. Die neue ANC-Führung wird den eingeschlagenen Kurs nicht verlassen: Oberstes Ziel ist die Verbesserung der Lebensverhältnisse der schwarzen Mehrheit und die Transformation der Gesellschaft in eine nicht-rassische Demokratie. „Dieses Ziel haben wir noch lange nicht erreicht“, räumt Mbeki selbstkritisch ein.
Die Überraschungen liegen eher im Detail und auch hier vorwiegend in den Personalentscheidungen. Zwei der sechs höchsten Ämter werden nicht mit Mbekis Wunschkandidaten besetzt. Und Winnie Mandela hat keine Chance auf das Amt der Vizepräsidentin. Zwar ist sie jetzt erstmals Mitglied des 60köpfigen erweiterten Parteivorstandes. Bei den abgegebenen Stimmen landete sie allerdings nur auf Platz 15. Auf Platz eins kam einer, der derzeit zwar keine Rolle in der Partei spielt, trotzdem aber immer noch höchst populär ist: Cyril Ramaphosa, noch vor zwei Jahren als aussichtsreichster Rivale Thabo Mbekis gehandelt, heute Chef von Südafrikas erstem großen schwarzen Privatkonsortium.
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