Punkt, Punkt, Sample, Strich

■ ...fertig ist das Songgedicht: Der Mann, der sich lotte ohm. nennt, ist auf dem unaufhaltsamen Weg zum Popstar. Mit unpeinlichen deutschen Texten und ungewöhnlichen Vertriebsmethoden

Die Frage, in die man mittenmang hineinzappt: Wie konnte es dazu kommen? Oder vielleicht besser: Wie wird sich das weitere Schicksal des Sympathieträgers entwickeln? Erst mal aber einfacher: Wie fühlt man sich als everybody's darling, Herr Vincent Wilkie? „Ein sehr merkwürdiges Gefühl. Man fragt sich dann schon, ob alle wahnsinnig geworden sind“, antwortet der Mann, der unter dem Namen lotte ohm. Platten macht, mitten hinein ins geschäftige Klappern des Frühstücksraums eines Hotels für Geschäftsreisende.

Geschäftsreisender ist heute auch Wilkie, unterwegs in Werbedingen für den neuen, zusätzlichen Brötchengeber, eine Major-Plattenfirma. Es sind nicht die ersten Interviews, die er gibt, aber noch freut sich der Endzwanziger über die professionelle Organisation und hofft, zum zweiten Mal ein Kännchen Kaffee auf Kosten des Labels abzuzocken. Plattenmillionäre, auch erst kommende, stellt man sich gemeinhin anders vor. Dabei wurde der Herr Wilkie nicht nur von der Hamburger Morgenpost als „Lichtgestalt im Einheitsbrei der deutschen Popmelange“ gefeiert.

Ausgelöst wurde die Begeisterung von kleinen elektronischen Miniaturen. Von Beats, wie man sie so elegant hierzulande selten tröpfeln hört, und von Samples, die nicht jeder sofort in der eigenen Soul-Sammlung findet. Die Texte beziehen sich direkt auf das Geschäft des Musikmachens, beschwören die alltäglichen Possen der Provinz oder hintergehen analytisch die kleine Beziehungskiste. Was alles für sich noch nichts wesentlich Neues wäre, wäre es nicht von Wilkie vorgetragen in einem Tonfall und mit Wortschöpfungen ironischer Distanz. „Ich bin zwar nicht gekommen, um mich zu beschweren“, singt er mit Blick auf Tocotronic, nur um einzuschränken: „... aber scheint mir dieses und jenes noch ein wenig klärungsbedürftig.“ Ein Satz, ein Nebensatz und noch einer, und es finden sich immer wieder neue Probleme und Worte dafür: „Es gibt viel zu wenig Optiker in dieser Stadt“, heißt es da, „und viel zu viele Augen, die nichts sehen.“ Vielleicht übersetzt Wilkie nur Popansätze, die man bisher aus England so kannte, erfolgreich in heimatliche Befindlichkeiten. Vielleicht erschafft er damit etwas ganz Eigenes.

Momentan läuft alles so, wie es sich einer nur wünschen kann, der beim Bäcker immer noch mit „junger Mann“ angesprochen wird. Zuerst „jahrelang Demos abgeschickt, und es hat keine Sau interessiert“. Los ging's auf der PopKomm („schlimme Veranstaltung“), wo Wilkie beim Stand des Indigo-Vertriebs „erst mal mit einer freundlichen Handbewegung den Aschenbecher vom Tisch fegte“ und dann sein Tape abgab. Was folgte, war eine EP namens „Die Liebe in den Zeiten des Rinderwahns“ und schließlich im Frühling dieses Jahres die Debüt-LP „Die letzte Tanke vor Babylon“. Alles beim Indie. Dann ließ man sich des öfteren zum Essen einladen und hat dabei die Fratze des Kapitalismus studiert. Man hatte ja schließlich genug gehört vom Geschäftsgebaren solcher Medienkonzerne. Doch dann kam einer daher, dem „haben wir am Anfang musikalische Fangfragen gestellt, ob er sich wirklich auskennt“, und der den Test bestand. So durfte also die WEA die Single „Wenn sie wirklich will“ auskoppeln und gleich die neugewonnenen Stallgefährten Rockers HiFi für einen Remix verpflichten. Da die Sache mit dem Major aber „nicht um jeden Preis sein mußte“, bleibt das Album bei Disko Grönland und bekommt so zusätzliche Werbung dank des Konzernpotentials. „So wird eher der Independent unterstützt“, hofft Wilkie. Und hat in seinem Vertrag stehen, daß er auch sonst veröffentlichen kann, was er will. Dieser Tage, pünktlich zum Fest, wird streng antizyklisch eine neue, auf strenge 1.000 Stück limitierte Vinyl-Maxi auf die Kultgemeinde losgelassen, während das mögliche Mainstream-Publikum davon gar nichts mitbekommt: „Mittlerweile kann man sich so was im Vertrag zusichern lassen, andere Plattenfirmen mit Platten begeistern zu können, bei Beck war das ja noch eine Sensation.“

Der Beck-Vergleich — da ist er. Anscheinend unvermeidlich. Auch Wilkie und seine träge dahinpluckernden Samples mögen verschroben wirken, „aber musikalisch ist das was ganz anderes. Beck macht mit Folk und Country- Blues rum, aber ich bin kein Ami.“ Bleibt zu ergänzen: Wilkie macht mit allem rum. Die Plattensammlung seines Vaters war nicht gerade klein. Und noch mehr heimische Einflüsse waren bestimmend, denn die singende Mutter und der liedermachende Vater kamen in den Endsechzigern aus England auf Einladung von Franz-Josef Degenhardt. Heute gibt er immerhin zu, die lässige Larmoyanz der Lottemusik läßt sich denn durchaus als Reaktion auf den notgedrungen auf Authentizität bauenden Singer/Songwriter-Ansatz des Erzeugers lesen.

Aber auch das ist nur eine Variante im Spiel. Popstars stellt man sich gemeinhin anders vor, irgendwie berechnender, irgenwie weniger kindlich. Andererseits: Hofft man nicht, daß alle Popstars, jedenfalls die guten, genau so angefangen haben? Frühstücksraum inklusive? Thomas Winkler