Aktien neben dem Mehmet-Scholl-Poster

1997 ächzt der Fußball in Deutschland unter den Freuden der Liberalisierung, will sich aber nicht von der öffentlichen Hand losreißen und leidet nun auch noch unter einem schweren „Balakow-Syndrom“  ■ Von Christoph Biermann

Die Freunde des Fußballs haben im ablaufenden Jahr den Sportteil ihrer Zeitung immer häufiger kopfschüttelnd auf den Altpapierhaufen gelegt. Denn eigentlich ging es beim fußballerischen Modernisierungstaumel lustig- wirr zu. Die Manager der Vereine und Funktionäre des Fußball- Bunds stürmten unter dem großen Banner der Liberalisierung ihrer Branche übereifrig aus der Gemütlichkeit ihres Schrebergartens weit hinaus und wollten gleich alles auf einmal. Neue Vereine, neue Stadien, neues Fernsehen, neue Weltmeisterschaft, daß es nur so schepperte.

So will sich der DFB um die Ausrichtung der Weltmeisterschaft im Jahre 2006 bewerben. Das hat er nicht zuletzt beim Länderspiel gegen Portugal in Berlin dadurch zum Ausdruck gebracht, daß jeder Besucher ein Trikot der deutschen Nationalmannschaft mit dem Slogan für die WM-Bewerbung bekam und im Olympiastadion eine hübsche Massenanimationsminiatur inszeniert wurde, bei der Menschen Papptafeln hochhielten, auf denen „WM 2006“ zu lesen war. Süß, aber vielleicht auch das einzige, wo man sich zur Zeit in Nord-Korea noch etwas abschauen kann. Für besagte WM sollen, und das ist der Clou, schon einmal Stadien gebaut werden, obwohl man heute gar nicht weiß, ob man sie 2006 brauchen wird, weil die Weltmeisterschaft dann vielleicht ganz woanders stattfindet.

Einige Vereinsmanager finden das aber auch jenseits von WM ganz gut, weil sie sowieso in der Schublade Pläne für neue Superstadien haben, die nicht mehr so blöd sind wie ihre alten, sondern modern. Selbstverständlich sind die alten Arenen – wie in München, Gelsenkirchen, Hannover oder Hamburg – ein Alptraum für Kurzsichtige und für Fußballspiele wirklich völlig blöd. Die modernen Arenen allerdings leider auch. Die höchste Vollendung von Glück, die man dort erleben kann, ist, auch während des Spiels was futtern gehen zu können, weil dieses am Würstchenstand auf dem Monitor zu sehen ist. Wer nach einem Besuch in der Amsterdam-Arena jene für die Zukunft des Fußballstadionbaus hält, verbringt seine Wochenenden wahrscheinlich auch mit Busreisen zu Musicals.

Um die neuen Stadien finanzieren zu können, die „Arena“ (sprich Ärina) oder „Dome“ oder „Superdome“ heißen, müssen die ehemaligen Fußballvereine eigentlich Aktiengesellschaften werden. Wobei man den Eindruck nicht los wird, daß die Manager der Klubs das nicht zuletzt deshalb wollen, weil sie dann richtige Manager sind und vielleicht auch mal auf dem Cover des Manager-Magazins landen wollen und nicht nur auf dem Kicker. Wenn es dann die Kick- AGs gibt, müssen sich nur noch genug Trottel Anteilsscheine kaufen, die sie neben ihr Mehmet-Scholl- Poster hängen können, wobei letzteres in einigen Jahren sicherlich mehr im Wert steigen wird. Manfred Krug könnte dabei unschätzbare Dienste leisten. Falls das alles nichts werden sollte, dürfen übrigens die Städte oder Bundesländer oder der Bund die öffentliche Hand reichen und beim Bau der Stadien einspringen.

So ganz will sich der Fußball sowieso nicht von der öffentlichen Hand losreißen. Während der DFB auch in diesem Jahr noch darüber jammerte, daß ein nutzloser Belgier namens Bosman das wunderbar ausgetüftelte, wenn auch leider völlig unrechtmäßige System der Ablösesummen zum Einsturz gebracht hat, jammerte er gerade erneut darüber, daß nutzlose Gerichte das wunderbar ausgetüftelte – wenn auch höchstwahrscheinlich leider völlig unrechtmäßige – System zur Einnahme der Fernsehgelder einstürzen lassen. Wenn das wirklich passiert, soll am besten die Regierung solche Gesetze machen, daß ein Kartell auch mal ein Kartell sein darf, wenn die Kugel nur richtig rollt. Die Untergangsszenarien aus dem DFB- Hauptquartier lassen jedenfalls die Zukunftsperspektiven Albaniens vergleichsweise hoffnungsfroh erscheinen. Insofern hat die Fußballbranche inzwischen wirklich den Bewußtseinsstand der sogenannten „freien Wirtschaft“ erreicht, der besagt, daß privat da ist, wo es was zu verdienen gibt, und öffentliches Interesse dort beginnt, wo es mal nicht so hinhaut.

Gibt es übrigens, so sei in diesem Zusammenhang gefragt, ein Recht auf Fußball umsonst in der Glotze? Die Antwort ist klar: Nö! Wobei allerdings schon gehörige Chuzpe dazu gehört, den Fortschritt zu preisen, daß man demnächst als Kunde bzw. Volk für etwas, das es vorher umsonst gab (WM im Fernsehen) bezahlen darf. Wird aber gemacht, wenn auch nicht von den Vertretern des Fußballs, die volle Kanne dagegen sind, weil Fußball ein „Volkssport“ (DFB-Präsident Egidius Braun) ist. Auf jeden Fall wissen wir jetzt, daß TV free macht. Also hält sich der Weltverband Fifa in der Frage von Fußball im Bezahlfernsehen immer schön im Windschatten der Wahrheit, um selbige im richtigen Moment zu überholen. Weil man das schöne Geld, das Leo Kirch auf den Tisch legen will, nun auch nicht missen möchte. Ach ja, und wenn alles hinten und vorne nicht mehr hinhaut, machen halt die Politiker die entsprechenden Gesetze. (Angesichts der Fülle der Aufgaben läge ein Fußballministerium nahe, das natürlich mit Franz Beckenbauer ideal besetzt wäre.) Das WM-Endspiel ist deshalb auf dem Weg, ein Weltkulturerbe wie die Cheopspyramide zu werden, die man kostenlos besichtigen darf. Wenn auch nicht von innen und im Moment sowieso besser nicht.

Wahrscheinlich wäre Reinhold Beckmann an allem schuld, wenn er sich nicht qua Wechsel zur ARD rechtzeitig exkulpiert hätte. Also eher Uli Hoeneß. Oder Sepp Blatter. Oder „der Markt“. Einer muß es ja sein. Auf jeden Fall nicht Berti Vogts, der doch eher ein Bedenkenträger ist. „Wir dürfen die Spirale nicht überdrehen“, hat er bestimmt gesagt. Sagen sie ja alle, seit 1962. Und wer jetzt immer noch nicht weiß, ob er dafür sein soll oder dagegen, sollte sich einfach mal Sorgen darüber machen, daß immer mehr Spiele durch Freistoßtore (das sogenannte „Balakow- Syndrom“) entschieden werden, was eine fatale Annäherung an den Fußball-Hauptfeind Tennis bedeutet, wo man sich nur noch Aufschläge um die Ohren drischt. Der Untergang des Fußballs droht. Wie immer!