Krieg mitten im Frieden

■ Ustica: Untersuchungsbericht bestätigt Nato-Verstrickungen

Der Bericht des Untersuchungsführers im Falle der 1980 über der Mittelmeerinsel Ustica abgeschossenen DC-9-Passagiermaschine enthüllt ein gespenstisches Szenario. Wer und warum auch immer damals den Knopf des Raketenstarters drückte – der Skandal ist nicht nur die Unbekümmertheit, mit der da gut dreißig Nato-Jäger mit einem Zivilflugzeug Krieg spielten. Skandalös bleibt die Arroganz, mit der Politik und Militärs der beteiligten Staaten die Angehörigen den Opfer belogen haben.

Natürlich haben die Militärs allen Grund, den Abschuß zu leugnen. Denn die fehlgeschlagene Aktion müßte auch ohne 81 unschuldige Opfer als katastrophal bewertet werden. Doch es kommt noch einiges dazu. Gewiß ist inzwischen – auch wenn der Abschlußbericht hier nur Hypothesen anführt, weil der Staatsanwalt dafür keine Untersuchungsbefugnis hatte –, daß das Manöver seinerzeit eine Aktion gegen Libyen war – höchstwahrscheinlich, um dessen Staatschef Gaddafi in eine Falle zu locken. Es kann auch als sicher gelten, daß die Nato für diesen Tag einen Putsch gegen Gaddafi anzetteln wollte. Und ebenso gewiß planten die Franzosen, sich im Zuge dieser Wirren ein Dutzend an Libyen gelieferte (und bezahlte) Mirage-Jäger wiederzuholen. Daß es sich dabei um eine Kriegsaktion handelte – und dies mitten im Frieden und ohne Kriegserklärung –, steht außer Zweifel. Für die USA galt damals offiziell der Befehl von Präsident Carter, gegen ausländische Staatsoberhäupter keine Mordkomplotte mehr zu schmieden. Ob es für die Franzosen einen ähnlichen Befehl gab, ist unbekannt; als die DC abgeschossen war, verschwanden sie jedenfalls noch schneller als die US- Amerikaner.

All das wäre Grund genug für massenweise Anklagen vor Militärtribunalen. Daß von dort nichts zu erwarten ist, wissen wir. Doch zumindest in Friedenszeiten hat in Demokratien die zivile Politik das Sagen – und von dort müßte die Anordnung zur lückenlosen Aufklärung kommen. Die USA und Frankreich aber benehmen sich wie Kolonialmächte, die den Italienern entweder harsch jede Auskunft verweigern oder jeden nur denkbaren Bären aufbinden. Es ist an der Zeit, den sogenannten Großmächten zu erklären, daß die Zeit eingeschränkter Souveränität, die sie nach dem Weltkrieg den meisten europäischen Ländern gegenüber dekretierten, vorbei ist. Werner Raith Bericht Seite 11