Mann würde sich im Grabe umdrehen

■ Das Fest der Liebe ist da, und alle haben sich gern. Alle? Der Schriftsteller Joachim Seyppel und Reimer Eilers, der Vorsitzende des Hamburger Landesverbands deutscher Schriftsteller (VS), streiten sich. Über „gute“Schriftsteller und über Glanz und Elend des VS

Sein Abgang kam mit Getöse. Der Schriftsteller Joachim Seyppel (“Abschied von Europa“, „Ahnengalerie“) kündigte seine Mitgliedschaft im VS und ließ es sich nicht nehmen, im „Hamburger Abendblatt“ausgiebig über betonköpfige Gewerkschaftsfuzzis, die eine „Diktatur des schlechten Geschmacks“errichtet hätten, zu wettern. Ausbrüche und glühende Reden sind für denn 77jährigen keineswegs ungewöhnlich. Und manchmal sind sie auch couragiert. So wurde Seyppel während des zweiten Weltkrieges wegen „Wehrkraftzersetzung“zu neun Monaten Knast verurteilt. Später siedelte er erst in die USA über, dann in die DDR, die ihn bald mit einem Publikationsverbot knebelte. 1979 reiste er in den Westen aus. Mit Ruhestand ist bei ihm vorerst nicht zu rechnen. Ein neuer Schriftstellerverband müsse her, „für wahrhaft echte Schriftsteller“. Reimer Eiler, VS–Vorsitzender des Hamburger Landesverbandes, kann Seyppels öffentliches Aufbrausen nicht nachvollziehen. Nach sechs Jahren ehrenamtlicher Arbeit fühle er sich „durch so etwas regelrecht verarscht“.

taz: Was war Ihnen, Herr Seyppel, wichtiger: endlich Auszutreten oder endlich öffentlich zu schimpfen?

Joachim Seyppel: Der Austritt war bereits am 31. September. Da kam ein Brief, da sieht man schon, in was für einer Art Verband man sich befindet, der begann mit „Liebe Kollegin“. Da war ich dann schon sauer. Dieses Unpersönliche ist ja peinlich. Nun gut, sich zu Wort zu melden, das schwelte schon lange, aber dann bin ich auf meinen alten Mitgliedsausweis gestoßen und habe entdeckt, daß ich runde 50 Jahre organisiert bin. Das ist ein gutes Datum, um auszutreten. Als ich eintrat, da war ich noch ein junger Mann, damals in Berlin, und ich empfand es als störend, wenn die alten Herren kamen und alles besser wußten. Das Generationsgefälle wird irgendwann dramatisch. Zu diesen alten Herren wollte ich nicht gehören.

Was schwelte denn?

Seyppel: Zum Beispiel die Frage: Wer von uns ist eigentlich Schriftsteller? Wer kann in einen Verband Deutscher Schriftsteller eintreten? Nun habe ich erleben müssen, daß viele „Schriftsteller“keine sind. Wir hatten auch mal einen Vorsitzenden Erich Loest, der ist Verleger. Ich hab den damals nicht runtergeputzt. Denn Loest ist ein guter Mann, hat auch in Bautzen gesessen. Dabei ist klar, daß notwendigerweise Interessenskonflikte auftreten müssen in so einer Person.

Wann ist man denn ein guter, verbandstauglicher Schriftsteller?

Seyppel: Auf jeden Fall dann nicht, wenn man ein Verleger ist. Früher, nach und vor dem Krieg, gab es einen relativ guten Schriftstellermarkt mit vielen unabhängigen, kleinen Verlagen. Heute gibt es immer mehr Leute, die schreiben, und immer weniger Marktangebote. Da hat es sich leider eingebürgert, ich nenne jetzt keine Namen, daß der Schreiber sich selbst finanziert und verlegt. Objektiv gesehen ist das illegitim, weil sie den Markt versauen. Die sind nun auch bei uns im Verband. Man kann das nicht im Einzelfall prüfen, dagegen gibt es bei uns keine Satzung.

Reimer Eilers: Doch, die gibt es, und in der steht drin, daß man nicht Mitglied werden kann, wenn man in Zuschuß-Verlagen oder im Selbst-Verlag veröffentlicht. Bei uns muß speziell der Vorstand einer Mitgliedschaft zustimmen. Wenn jemand 50 Erzählungen veröffentlicht hat, ist das so gut wie ein Buch. In unserer Zeitung Kunst und Kultur, die von Ihnen ja bekanntlich geschmäht wird, gab es außerdem des öfteren Artikel, in denen ausführlich vor den Praktiken der Zuschuß-Verlage oder auch vor Agenten, die Geld nehmen, bevor sie einen Verlagsvertrag haben, gewarnt wird. Wir sind natürlich nicht die Literaturpolizei, aber Ausnahmen sind wirklich Einzelfälle.

Um ästhetische Kategorien geht es Ihnen dabei nicht, Herr Seyppel?

Seyppel: Der Verband für Schriftsteller sollte eine Verband für Schriftsteller sein, darin stimmen wir überein. Jetzt gibt es meinetwegen Gesetze oder Satzungen, die nicht realisierbar sind. Solche sollte man erst gar nicht erlassen. Das ist der Witz. So appelliert man als Schriftsteller an das literarische Gewissen der Mitglieder. Und ich weiß, daß es Leute im Vorstand gibt, ich nenne keine Namen, die seit Jahr und Tag ihre Bücher selbst finanzieren.

Das reicht Ihnen schon für ein literarisches Gewissen? Sind dann Hera Lind und Alfred Biolek, die ja sicherlich nicht im Eigenverlag erscheinen, herzlichst willkommen?

Eilers: Ich hab da nichts gegen.

Seyppel: Wer ist denn das? Es kann jedenfalls nicht um gute oder schlechte Literatur gehen. Goethe zum Beispiel war seinerzeit kein Bestseller, Jean Paul war viel höher geschätzt. Es gibt eigentlich nur ein Kriterium, und das ist die Zeit.

Eilers: Unsere Vorstandsmitglieder in Hamburg und im Bund sind AutorInnen, die ihr literarisches Brot anständig verdienen. Sie haben es auch nicht nötig, von mir besonders in Schutz genommen zu werden. Im übrigen sind wir uns doch völlig einig. Das ist ein Grundsatz bei uns, daß wir nur nach formalen Kriterien gehen...

Seyppel: Wir gehen nicht nach formalen Kriterien. Was heißt eigentlich formal ...?

Eilers: Zum Beispiel das, was in der Satzung steht. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal sagen, daß ich das als bitter empfinde, wenn jemand nach 50 Jahren seinen Mitgliedsausweis zurückschickt. Ich habe Ihren Abgesang im Abendblatt als ungerechte und muffige Breitseitenkritik gelesen. Von „Betonköpfen“ist die Rede und davon, daß wir dringend einen neuen Verband brauchen.

Seyppel: Der Verband hat keine literarische Kompetenz mehr, und ich werfe ihm vor, mit unseren Geldern so etwas Beklopptes wie „Creative Writing-Kurse“anzubieten. Drei Tage sollen Schriftsteller „professionalisiert“werden. Überhaupt „Creative Writing“. Was ist denn das, gibt es da kein deutsches Wort für? Ich kann nämlich kein Spanisch.

Eilers: Schöpferisches Schreiben...

Seyppel: Diese Hochstaplerei, als könne man nach drei Tagen von Schreiben leben. Dann gibt es da noch Kurse „Wie gewinne ich Preise“. Thomas Mann würde sich im Grabe umdrehen.

Eilers: In diesem Kurs werden die Leute bekannt gemacht mit Urheberrecht, mit Literaturkritikern und Verlegern. So erfahren sie Dinge, die für ihren Beruf wichtig sind. Es soll ein Einstieg sein, der auch zahlreich angenommen wird.

Herr Seyppel, vermissen Sie eigentlich die großen Namen im Verband und fühlen sich deshalb „einsam“?

Seyppel: Das ist mir wurscht. Richtige Schriftsteller würden mir reichen und nicht so ein Blendwerk. Nicht so ein „Creative Writing“, ich sprech' kein Spanisch...

Wie soll ein Schriftstellerverband Ihrer Wünsche aussehen?

Seyppel: Jedenfalls nicht so. Einer, der keinen „Creative Writing“-Quatsch anbietet... Er soll über literarische und stilistische Fragen diskutieren. Wann gebraucht man das Wort „und“oder „aber“. Wenn ich urheberrechtliche Probleme habe, dann gehe ich zu meinem Anwalt.

Eilers: Die sind aber sehr teuer. Im Verband hast du Anspruch auf Rechtsberatung.

Seyppel: Ja, das kann ich dir erzählen... Einmal schuldete mir die Welt 500 Mark. Über zwei Jahre hat sich der Verband um mich bemüht. Nix passiert hier.

Eilers: Das stimmt doch nicht. Seit einem Jahr verhandeln wir über die Neufassung eines Normvertrages. Da kann doch keiner sagen, das sei nicht sinnvoll.

Seyppel: Den Normvertrag gab es früher auch schon, hieß bloß anders. An den Gesetzen des Kapitalismus ändert sich doch nichts. Es kann sich nichts am Normvertrag verändern, weil es die Besitzverhältnisse verbieten.

Sie, Herr Eilers, verstehen den Schriftstellerverband primär als eine Art Dienstleistung?

Eilers: Ja, das muß er sein und dafür gibt es auch keine andere Stelle. Aber hier besteht eine Spannung, denn natürlich geht es um die Liebe zur Literatur und ihre materiellen Bedingungen, sprich das Geschäft.

Vermissen Sie, wie Herr Eilers, auch die guten Schriftsteller im Verband?

Eilers: Wir haben gute und echte, genau wie wir auch welche haben, die ich nicht besonders schätze. Ein Problem ist, daß die Leute immer älter werden, bis sie ein Buch veröffentlichen. Was ich vermisse, sind mehr junge Leute. Dabei tun wir etwas für neue Entwicklungen im Literaturbetrieb, wie z.B. Poetry Slams...

Seyppel: Was ist denn ein Poetry Slam?

Eilers: ... außerdem ist es heute nicht gerade „in“, in einen Verein oder Verband zu gehen. Damit kann man sich heute nicht brüsten. Neulich habe ich Matthias Politycki gefragt, ob er nicht Interesse hat. Der meinte, er wäre nur mal im Fußballverein gewesen. In eine Organisation wie unsere zu gehen, könne er sich momentan nicht vorstellen.

Seyppel: Übrigens ist der VS kein Einzelfall. Der Pen-Club besteht ja im Moment auch nicht aus Schriftstellern.

Eilers: Was heißt auch nicht?

Seyppel: ... oder auch die Kongresse, zum Beispiel nach Mazedonien. Da werden irgendwelche, bloß keine repräsentativen Schriftsteller des Verbandes, hingeschickt. Schämen muß man sich dafür. Früher waren das richtig lebhafte Veranstaltungen. Da wurde diskutiert über Sozialismus und Kommunismus. Schämen muß man sich doch...

Eilers: Die Teilnehmer werden delegiert, vom Bundesvorstand nämlich. Auf einem der letzten, diesem Poesiefestival in Mazedonien, da habe ich übrigens deine Frau und den deutschen Botschafter getroffen. Die haben sich nicht geschämt, sondern mir fleißig Wein ausgetan. Beide fanden diesen Abend gelungen. ...

Seyppel: ...dann braucht der Vorstand für die Auswahl der Delegation eben literarische Berater. Echte Schriftsteller zum Beispiel.

Eilers: Wir sind offen für alles.

Seyppel: Sind wir nicht. Nur für sozialdemokratische Strömungen und gewerkschaftlichen Klüngel. Sonst wäre ich ja nicht ausgetreten...

Eilers: Der Verband Deutscher Schriftsteller ist der Verband, der mit 25 Jahren historisch am längsten existiert hat. Ein Grund, warum es uns so lange gibt, ist auch unsere Zugehörigkeit zu der Gewerkschaft, der IG Medien.

Seyppel: Wenn ich achtzig werde, ist das kein Verdienst. So etwas bedeutet nichts. Entscheidend ist die Arbeit und die Literatur.

Eilers: Darauf können wir uns gerne einigen, entscheidend ist das Werk.

Fragen: Birgit Glombitza/

Fotos: Lasse Teubner