Hunderttausende auf der Flucht

25.000 Menschen aus der nordwestbosnischen Stadt Velika Kladuša versuchten sich 1995 in einem Tal einzurichten, kaum 30 Kilometer von ihrer Heimatstadt entfernt. Die Flüchtlinge aus Velika Kladuša hatten im Unglück immerhin noch das Glück, daß die Hilfsorganisationen seit Beginn des Krieges im ehemaligen Jugoslawien erfahrener geworden waren. Nun waren sie besser vorbereitet, koordiniert, verfügten über entsprechendes Material.

Noch zu Beginn des Kriegs in Kroatien 1991, als nach den serbischen Angriffen 300.000 kroatische Flüchtlinge nach Zagreb und in die Küstenstädte flohen, gab es diese Hilfestellung nicht. Wohl gab es Familien, die Flüchtlinge bei sich zu Hause aufnahmen, und Touristenhotels, die zu relativ komfortablen Flüchtlingslagern umfunktioniert worden waren.

Soviel Glück hatten die Vertriebenen aus Bosnien, die zweite Welle der Flüchtlinge ein Jahr später, nicht. Nach den serbischen Angriffen seit April 1992 verloren mehr als 800.000 Muslime und Kroaten ihre Heimat. Die meisten flohen damals nach Kroatien. Hotels und Schulen waren plötzlich überfüllt; internationale Organisationen bemühten sich um schnelle Hilfe. Sogar Eisenbahnwaggons aus der ehemaligen DDR wurden von der deutschen Hilfsorganisation Cap Anamur ins Land gebracht und zu Flüchtlingslagern in Slawonien und in Mostar umfunktioniert. Drückende Enge, Hunger und das Fehlen psychologischer Betreuung der Menschen, die aus Konzentrations- und Vergewaltigungslagern gekommen waren, kennzeichnete die damalige Lage.

Erst als es Hilfsorganistionen gelang, die Regierungsstellen vieler Länder, vor allem in Österreich, der Schweiz, Slowenien, Deutschland und den nordischen Ländern zu überzeugen, Flüchtlinge in ihren Ländern aufzunehmen, entspannte sich die Situation. Die Spendenbereitschaft der Bevölkerung in ganz Europa tat ein übriges, um die erste Not zu lindern. Auch die 400.000 nach Serbien geflohenen Menschen wurden fortan besser betreut.

1993 kam es zu weiteren Fluchtbewegungen. Mit dem Krieg im Krieg, dem kroatisch- muslimischen Krieg, wurden über 400.000 Muslime wie auch Kroaten zur Flucht gezwungen. Wieder füllten sich die Flüchtlingslager. Muslime aus Mostar und Stolac wurden in die Hungergebiete Zentralbosniens abgedrängt. Kroaten aus Vares und Zentralbosnien konnten in der westlichen Herzegowina mit besserer Versorgung rechnen.

Zur Massenflucht von Menschen ganzer Regionen kam es erst nach der Offensive der kroatischen und muslimisch-bosnischen Armeen ab August 1995 wieder. Diesmal flohen die Serben. Aus der kroatischen Krajina machte sich ein Treck von 200.000 Menschen auf den Weg in die serbisch-kontrollierten Gebiete in Bosnien-Herzegowina und nach Serbien. Als nach der Rückeroberung von Teilen Westbosniens durch bosnische Truppen die Lage der Serben in Banja Luka brenzlig wurde, flohen nochmals Zehntausende.