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Tauchstation im amerikanischen Traum

Aus O-Tönen baut die US-amerikanische Theatermacherin Anna Deavere Smith Stücke über die unschönen Seiten der Neuen Welt zusammen – und hat damit großen Erfolg. In der neuesten Ausgabe ihrer Reihe geht es um Bill Clinton: „House Arrest“ in Washington  ■ Von Jürgen Berger

Fährt man im Greyhound von New York nach Washington, geht es vorbei an Industriestandorten. Im AM-Track schaukelte man an der Küste entlang und säße nicht so eng zwischen all den Müttern mit Kindern, Landarbeitern und Soldaten. Zugfahren allerdings ist in den USA mindestens doppelt so teuer wie ein Trip im Greyhound, und so oder so kommt man irgendwann an.

Im Gegensatz zu New Yorks gewachsener Urbanität wirkt in Washington vieles über- oder unterdimensioniert. Das Capitol etwa thront monumental, während das Weiße Haus wie ein italienischer Palazzo wirkt, bei dem in der Planungsphase das Geld knapp wurde. Auch beim U-Bahn-Bau scheint man was durcheinander gebracht zu haben, und so rechnet man in den röhrenförmigen Hangars des Netzes eigentlich nicht mit Zügen, sondern damit, daß irgendwo ein großes Tor aufgeht und eine Pershing in Abschußposition gebracht wird.

Trotzdem muß man runter, um zur Arena Stage zu gelangen. Dieses Theater ist eines von Amerikas renommiertesten und liegt südöstlich des Flusses Potomac. Auf der anderen Seite fläzt sich das Pentagon: Theater in nächster Nähe zu Amerikas militärischer Schaltzentrale. Im Publikum, das im Foyer einer Preview von Anna Deavere Smiths „House Arrest“ entgegen sieht, mischt sich gediegener Mittelstand mit hochrangigen ministerialen Ehepaaren und wartet gespannt darauf, was die derzeit hochrangigste US-Theaterkünstlerin zum mythenüberlagerten Präsidentenbild Amerikas zu sagen hat.

Anna Deavere Smith hat es in den letzten Jahren geschafft, das US-Publikum mit ihrer Form semidokumentarischen Theaters für ein Schauspiel fernab des Broadway zu interessieren. Nicht nur die Previews in der rund 600 Plätze zählenden Arena Stage sind ausverkauft, sondern auch die regulären Vorstellungen im Dezember und Januar sowie die sich anschließende US-Tour nach Los Angeles, Seattle und Chicago.

Das Doku-Drama als Reisereportage

Das verwundert, denn Deavere Smith macht Dokumentartheater in europäischer Tradition, das einem Comedy-gestählten und in der Regel völlig apolitischen amerikanischen Publikum im ersten Moment recht dürr vorkommen muß. „On The Road: A Search For American Character“ nennt sie ihre Reihe von Theaterstücken, in denen sie mit dem Mikrofon Material sammelte und in „Twilight L.A., 1992“ (das im September in Hannover auch bei uns Premiere hatte) zum Beispiel einen auf sich zugeschnittenen One-women- Abend zu den Rassenunruhen in Los Angeles zusammenstellte. Das Unverwechselbare: Sie bebildert die Vorgänge nicht, sondern läßt interviewte Menschen als lebensweltliche Bühnenfiguren wiederauferstehen.

„Sprache ist eine Methode, den Charakter der Person zu evozieren, die sie gesprochen hat. Jede Person, die ich darstelle, hat eine Präsenz, die viel wichtiger ist als die Informationen, die sie gibt“, sagte Anna Deavere Smith zu ihrem L.A.-Projekt und formuliert so ganz nebenbei auch das Credo eines journalistischen Reportagestils, den man aus den Reiseberichten Bruce Chatwins oder in anderer Form von Gabriele Goettle kennt: Dokumentarisches Material kunstvoll zu ordnen und dezent zu stilisieren; es entsteht eine theatralische Hyperrealität. Life is a stage, auch im Theater von Deavere Smith, die wahrscheinlich genau damit den Nerv des amerikanischen Publikums trifft und jenen „Unterhaltungswert“ beglaubigter Biographien liefert, mit denen sie in den USA zum Begriff geworden ist. Inzwischen darf sich die Schauspielerin und Autorin – die ihr Alter nicht preisgibt, äußerlich aber durchaus noch als College Girl durchginge – Professorin of the Arts an der Stanford University nennen. Für ihre nahezu dreijährige Arbeit am neuen Projekt konnte sie zwei Millionen Dollar bei Stiftungen und privaten Sponsoren lockermachen. Ein üppiges Budget, auch wenn damit die gesamte Recherche-, Probe- und Spielzeit mit über 30 Schauspielern und sonstigen Mitarbeitern finanziert wird.

Basis von „House Arrest“ sind wieder Interviews, befragt hat sie unter anderem: Peggy Noonan, die frühere Redenschreiberin Bill Clintons, seinen früheren Sicherheitsberater, George Stephanopoulus, Hillary Clintons persönliche Beraterin, Maggie Williams – und den Präsidenten selbst. Entgegen ihrem früheren „On the road“- Theater beläßt es Deavere Smith dieses Mal allerdings nicht beim Spiel mit dokumentarischem Material, sondern taucht in einem zweiten Strang in Amerikas Geschichte ab, um zu zeigen, wie der amerikanische Präsident schon immer versuchte, gleichzeitig Supermann, Daddy der Nation und ihre moralische Instanz zu sein.

Die Bühne ist variabel, nach kurzen Einstiegen, in denen das Ensemble den amerikanischen Traum ewiger Fitneß auf dem Standfahrrad karikiert, wechseln Szenen und Zeiten sehr schnell. Anna Deaveres Kunstgriff: Um den aktuell-historischen Kern herum baut sie eine Spiel-im-Spiel- Handlung.

O-Töne hochrangiger Staatsbeamter

Die Theatertruppe, die das Stück spielt, steckt noch in den Proben, so daß historische Szenen mit Franklin Delano Roosevelt und Thomas Jefferson schnell mit Probensequenzen aktueller Reportage-O-Töne wechseln. Typisch für ihre Art der Verfremdung dokumentarischen Materials: Roosevelt wird auf der Arena Stage von einem Jungen gespielt, der in staatsmännischer Attitüde des Präsidenten New-Deal-Rede aus dem Jahre 1937 zum Besten gibt, in der bereits die Rede von einer Zweidrittelgesellschaft ist.

Im Zentrum steht allerdings immer Bill Clinton. Ein Staatsoberhaupt nicht als Konstrukt eigener Legendenbildung, sondern als Präsident, der einem puritanischen Common sense entsprechen muß und will. Sein Auftritt, der von einer Frau absolviert wird, ist mit den Worten „And you can use this“ überschrieben: Selbst wenn er nur Sprechblasen produziert, will er die Verfügungsgewalt über sein öffentliches Wort behalten. Weit über 300 Interviews hat Deavere Smith geführt. Im aktuellen Strang verwendet sie fast ausschließlich O-Töne hochrangiger Staatsbeamter und Journalisten. In der historischen Spielhandlung geht es hauptsächlich um Thomas Jefferson, der von 1801 bis 1809 Präsident der Vereinigten Staaten war und ein Verhältnis mit seiner schwarzen Haushälterin hatte, während er nach außen den moralischen Hardliner gab. Nebenbei reproduziert die Schauspielertruppe im kleinen das große Staatsspiel um Sein und Schein, Ehre, Verrat und Korruption. Was zum Beispiel macht man mit dem vorbestraften Kollegen, wenn eine Einladung ins Weiße Haus ansteht? Man läßt ihn verschwinden, so wie die politische Metropole Amerikas die zwei Drittel seiner Einwohnerschaft verschwinden lassen möchte, die nicht ins Straßenbild der Weltmacht passen.

Immer klappt das nicht, wie der Weg zurück zur Greyhound-Station zeigt. Vorbei an der Union Station, führt die Straße runter in die nordöstliche Downtown Washingtons. Es ist kalt und plötzlich singt jemand. Wird wohl irgendein Radio im Bauch des Bahnhofstempels sein, meint man – bis plötzlich die schwarze Frau in einer Nische auftaucht. Da sitzt sie und singt. Einschlafen könnte tödlich sein.

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