Eine Schrotflinte ersetzt den Schmuck

■ Der Preisverfall beim Weizen macht einer US-Farmerfamilie Sorge. Teil III der taz-Serie über Konsum-Wünsche und -Wirklichkeiten

„Kann nicht sagen, daß die Dinge auf der Farm dieses Jahr gut bestellt sind“, schreibt Rexford per E-Mail aus Red Rock. Zwar habe er Rekorderträge pro Acre eingefahren. Das aber habe sich durch den Preisverfall wieder ausgeglichen. Der Preis sei von über 6 Dollar pro Scheffel letztes Jahr auf 3,16 in diesem Herbst gefallen. Letztes Jahr hat er bei schlechter Ernte und höheren Preisen besser verdient. Was er sich zu Weihnachten gewünscht habe? Daß sich Hektarertrag und Preis ausbalancieren.

Oklahoma liegt im Farmgürtel Amerikas und ist vielen aus Steinbecks „Früchte des Zorns“ bekannt, jener dramatischen Geschichte vom Exodus der „Okies“, die Dürre und Pleiten hinter sich ließen, um ihr Heil im goldenen Westen Kaliforniens zu suchen. Tatsächlich hat Oklahoma seit der Dürrekatastrophe von 1933 ständig Bevölkerung verloren. Insgesamt ging in den USA die Zahl der Farmer unaufhaltsam von über sechs Millionen 1940 auf heute knapp zwei Millionen zurück.

Tochter Charly war dieses Jahr sehr erfolgreich. Rex meint damit nicht, daß sie an der Highschool graduierte, wo sie Fernsehtechnik studiert, sondern daß sie auf der Viehausstellung der Furture Farmers of America für zwei ausgestellte Schweine Preise bekam. Das war noch, bevor ihre Mutter Debbie alle 14 Schweine verkaufte, um dem Sohn John zu seinen 21. Geburtstag eine Reise nach Europa zu spendieren. „An seinem 21. Geburtstag wird er sich ein Leben lang erinnern, das waren mir die 14 Schweine wert“, rechtfertigt Debbie ihre Entscheidung. „Außerdem studiert John Soziologie und will in die Politik gehen, da muß er noch etwas anderes gesehen haben als Oklahoma und sein College-Städtchen Alva.“

Die Farmkrise der achtziger Jahre erreichte Oklahoma mit Verspätung, weil hier die meisten Farmer Öl auf ihrem Land haben. Rex bezieht aus Öltantiemen 24.000 Dollar im Jahr. Das half ihm über manches schlechte Jahr hinweg. Viele Farmer aber verbrauchten Anfang der 90er all ihre Rücklagen, und als dann der Bodenpreis für unprofitable Farmen verfiel, gingen sie pleite. Der Bodenpreis ist schließlich das, worauf die Banken ihre Kredite geben.

Was das Geheimnis seines Betriebs sei? Nicht mit der Qualität des Saatgutes geizen und auch nicht mit Düngemitteln, aber bei Ausgaben für Ausstattung auf den Pfennig achten. Dabei hat Rex sich gerade einen dieser ganz neuen Traktoren gekauft, die mit Hilfe von Satelliten fast auf den Quadratzentimeter genaue Bodenproben ziehen und entsprechend punktgenau die Düngemittel dosieren können. Aber er benutzt das System nicht. „Bei den Weizenpreisen lohnt sich das nur bei Mais oder Soja, wofür es in Oklahoma eigentlich zu trocken ist.“ Rex aber hat eine Computerstandleitung zur Chicagoer Warenterminbörse, er beobachtet den Weltmarkt und weiß, daß er auf lange Sicht auch andere Feldfrüchte als den ewigen Weizen anbauen muß.

Für das Weihnachtsmahl war schon lange vor dem Fest gesorgt. Jäger waren dagewesen und hatten für die Erlaubnis, auf der Farm zu jagen, zwei Wildgänse abgegeben. Die hat Debbie dann mit wildem Reis zubereitet. Sonst gab's zu Weihnachten meist Hasenbraten. John ist nicht nur ein guter Jäger, er hat die Hasen auch zubereitet.

Charly hat zu Weihnachten einen Mikrowellenherd bekommen. Und Debbie? Einmal, da haben ihr die Kids eine Wahnsinnsüberraschung beschert. Weil sie sie immer wieder damit nervten, was sie sich denn wünsche, hat sie einen Sears-Katalog genommen und nur so aus Quatsch alles mögliche und unmögliche angestrichen, Puppen, Spielzeug, Reizwäsche, Nippes. Und die Kids haben ihr das dann doch tatsächlich bestellt. Das meiste hat sie nach Weihnachten wieder zurückgegeben.

Dieses Jahr kannte Debbie ihr Weihnachtsgeschenk schon vor dem Fest. Es sollte eigentlich eine Überraschung werden, aber sie ging sowieso schon täglich damit um, und diese Schrotflinte lag so gut in ihrem Arm, daß Rex sie dem Nachbarn kurz entschlossen abgekauft hat. „Andere Frauen wollen Schmuck, ich will dieses Rangerabzeichen und Waffen: die 44er am Gürtel, die 22er im Schulterhalfter und das Gewehr für den Streifenwagen“, so Debbie. Im kommenden Jahr wird sie in den Sommermonaten im 90 Meilen entfernten Keystone Park Dienst tun. Für die Zeit steht der Wohnwagen am Parkeingang, Rex wird allein zurechtkommen müssen. Die zusätzlichen Einnahmen kann die Familie bei der Belastung durch die Ausbildung der beiden Kinder gut gebrauchen. Peter Tautfest