Wenn Zeit für Ideen zum Luxus wird

Kasernen zu Reihenhäusern: Die Nutzung ehemaliger Militär-Gelände in der Hansestadt für Wohnen, Gewerbe und Natur birgt viele Chancen, die Hamburgs Stadtplaner eilfertig übergehen  ■ Von Heike Haarhoff

Planende Hände skizzieren vorgarten-gesäumte Reihenhauszeilen und drapieren Bäume vor Asphaltwegen. 1998, das wissen Hamburgs Stadtplaner und Architekten, wird ihr Jahr: „Der Stadt Raum geben, den Standort Hamburg stärken“- dieses erklärte Ziel der Stadtentwicklungsbehörde dürfen und sollen sie umsetzen. Denn der Raum wartet, gestaltet zu werden: Die flächenknappe Elbmetropole gewinnt bis zur Jahrtausendwende mindestens 170 Hektar Bauland (300 Fußballfelder) inmitten der Stadt hinzu – weil Post, Bahn und Bundeswehr traditionelle Standorte verlagern oder sich ganz aus Hamburg zurückziehen. Der besondere Reiz: Es handelt sich nicht um einzelne freie Grundstücke, die wie ein Flickenteppich über die Stadt verstreut liegen, sondern um zusammenhängende Gebiete – teilweise so groß wie andernorts kleine Dörfer. Entsprechend groß ist die Erwartung an ihre Gestaltung. Doch überzeugende planerische Konzepte fehlen ebenso wie der Umgang mit der (Militär-)Geschichte schwer fällt: Statt dessen setzt die Stadt auf die Wiederholung herkömmlicher Wohnsiedlungen – backsteinrote Tristesse programmiert. Die taz hat sich auf den fünf stillgelegten Hamburger Kasernen- bzw. Truppenübungsgeländen Höltigbaum, Boehn, Lettow-Vorbeck und Graf-Goltz (Wandsbek) sowie Scharnhorst (Harburg) umgesehen.

„Boehn-Kaserne“prangt in Sütterlin-Schrift auf dem Schild am eisernen Tor. Keine Wachtürme, keine zackig grüßenden Soldaten weit und breit. Statt dessen Rohbauten, aufgerissene Erde. Bagger, Kräne. Eine Baustellen-Ödnis gigantischen Ausmaßes. Und der Hausmeister, der aus einem der wenigen übriggebliebenen backsteinroten Kasernengebäude hinter dem Tor am Timmendorfer Weg in Wandsbek den Besuchern entgegenschlurft. Seit 1993, als die Boehn-Kaserne „der weltweiten Entspannung zum Opfer fiel“, erzählt er, „gibt's hier kein Militär mehr“.

Alles, was daran erinnerte, wurde in den Monaten nach der Stillegung flugs abgerissen – bis auf einige wenige Häuser am Rand des 27 Hektar großen Geländes, in denen der Bezirk zunächst Kriegsflüchtlinge aus Bosnien, später wohnungssuchende Aussiedler aus Rußland unterbrachte. Und auch die, weiß der Hausmeister, sollen irgendwann „abgewickelt“werden.

Dann nämlich, wenn der ehemalige Exerzierplatz in einen zentralen Park verwandelt ist. Einen Park als Treffpunkt für die 5000 Menschen, die ab 1999 in den 1620 Reihenhäusern, Stadtvillen, Miet- und Eigentumswohnungen, die hier derzeit im Hauruckverfahren und Gartenstadt-Stil aus dem Boden gestampft werden, ein neues Zuhause finden sollen. Auch ein Name für den neuen Stadtteil wurde schon kreiert: Rahlstedter Höhe.

Und sonst? Eine Schule, zwei Kindertagesheime, eine Sporthalle, ein Sportplatz, ein Alten- und Pflegeheim sowie ein „Nahversorgungszentrum“mit zwölf Läden und Büroräumen sind in Planung. Keine architektonischen Experimente, keine planerischen Extravaganzen: „Ich bin, bezogen auf Hamburg, eher für das Verbinden und Vernetzen mit dem Vorhandenen als für das grundlegend andere, häufig ja auch Artifizielle“, erläuterte der damalige Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow (SPD) im August, als die Bauarbeiten gerade losgegangen waren, in einem Gespräch mit der taz seinen städtebaulichen Glaubenssatz. Seinem Amts-Nachfolger Willfried Maier (GAL) wird nun der brave Vollzug der Planungen nachgesagt – etwaige Zweifel an der Siedlungskonzeption für die Konversionsflächen jedenfalls wurden von ihm bislang nicht vernommen.

Deshalb gilt als wahrscheinlich, daß auch auf der Rahlstedter Höhe die soziale und verkehrliche Infrastruktur erst Jahre nach dem Einzug der Mieter fertig werden, ganz in der Tradition Hamburger Neubausiedlungen. Wieso auch sollte es anders sein, fragt sich die realregierende Große Koalition in Wandsbek, wo die meisten ehemaligen Kasernen liegen.

Der günstige Preis, zu dem die Bundesvermögensanstalt die Militärzonen an Stadt oder Baugesellschaften verkaufte, ist schließlich an Bedingungen geknüpft: daß dort nämlich in bestimmten Fristen eine bestimmte Anzahl von öffentlich geförderten Wohnungen entsteht. Eile ist geboten, Zeit für neue Ideen Luxus.

Vorausgesetzt, man unterstellt den Stadtplanern nicht generelles Scheitern – dann erklärt sich nur so, weshalb auch an der Graf-Goltz-Kaserne in Rahlstedt, künftig „Gartenstadt Boltwiesen“, der planerische Einfallsreichtum für traumhafte zehn Hektar Brache in „420 familiengerechten Wohnungen in 250 Reihen- und 15 Doppelhäusern“gipfelt. Weshalb es auch an der Heimfelder Straße in Harburg auf dem ehemaligen Scharnhorst-Kasernengelände 650 Wohneinheiten überwiegend im Geschoßwohnungsbau geben wird und der bezirkliche Stadtplaner Michael Scheuermann sich wundert, „warum dabei Konflikte hätten auftauchen sollen“.

Wenige machen sich Gedanken, ob dieser Tage die wohl nicht so schnell wiederkehrende Chance auf großflächige Siedlungsplanung mitten in der Stadt großzügig vertan wird. „Das Entscheidende ist, daß das Verfügungsflächen werden, für die die Stadt sich in Ruhe – und das schließt eine schnelle Bebauung aus – überlegen kann, welche Nutzung optimal ist“, warnt der Hamburger Professor für Stadtplanung, Dittmar Machule.

Die Politik interessiert das wenig. Außer dem ehemaligen Truppenübungsplatz Höltigbaum, der auf Druck des grünen Regierungspartners laut Koalitionsvereinbarung als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden soll, sollen die verlassenen Militärgebiete für ziviles Gewerbe und Wohnungsbau genutzt werden.

Die Planungen für das 30 Hektar große Gelände der stillgelegten Lettow-Vorbeck-Kaserne in Wandsbek laufen auf Hochtouren. Schon 1998 und nicht erst wie ursprünglich vorgesehen im Jahr 2001, will die Bundeswehr ihre Bau-Ruinen an die Bundesvermögensanstalt übergeben. Das wurde Mitte November bekannt. Und schafft den Vorteil, daß – sollte die Hamburger Bevölkerung weiter wachsen – die Stadt künftig auf die Versiegelung grüner Wiesen am Stadtrand verzichten kann: Es gibt ja die Konversionsflächen. Wieviel Gewerbe und wie viele Wohnungen hier in welcher Bauweise entstehen sollen, ist noch strittig. „Das Bebauungsplan-Verfahren wurde ja gerade erst eingeleitet“, bittet der Wandsbeker Stadtplaner Karl-Heinz Ulmen um Geduld.

Auch die Frage, ob und wie viele der Soldaten-Baracken erhalten bleiben, ist noch zu klären: „Ein einheitliches Konzept gibt es nicht, jede Kaserne ist anders“, begründet Stadtplaner Ulmen die individuelle Entscheidung. In Harburg, sagt Michael Scheuermann, „wurde alles abgerissen; die Scharnhorst-Kaserne war aus der Nazi-Zeit“.

Das Amt für Denkmalschutz in der Kulturbehörde sieht das weniger pauschal: „So umstritten die Bauten als architektonische Zeugen eines Unrechtssystems sind“, wirft Pressesprecher Ingo Mix ein, „sie sind trotzdem steinernes Geschichtszeugnis..Folglich würden „mit besonderer Sensibilität“auch Nazi-Gebäude auf ihre Schutzwürdigkeit hin geprüft. Im Fall der Graf-Goltz-Kaserne hat das in der Vergangenheit für Kontroversen gesorgt. Die Denkmalschützer wollten und wollen das Eingangstor samt Wandreliefs mit faschistisch verklärter Darstellung verschiedener Militäreinmärsche unter Schutz stellen und das mit erklärenden Tafeln dokumentieren.

Dem grünen Wandsbeker Fraktionschef Dieter Rösler geht das allerdings nicht weit genug: Ihm schwebt vor, das NS-Portal von StudentInnen der Hochschule für bildende Künste umgestalten und kommentieren zu lassen.