„Der Aktionär ist das größte Säugetier“

■ Plakate und Objekte aus dem Arbeitskampf: Die Belegschaft von Boehringer Mannheim wehrt sich im Landesmuseum für Technik und Arbeit mit einer Ausstellung gegen Stellenabbau

Dieses Bild ist neu: Da wehren sich Beschäftigte eines Unternehmens gegen Stellenabbau und landen mit ihren Plakaten und Flugblättern noch während des Arbeitskampfes im Museum. Die Rede ist von der Belegschaft des Pharmaunternehmens Boehringer Mannheim und vom Landesmuseum für Technik und Arbeit, ebenfalls in Mannheim. Im Ausgangsbereich der „Körperwelten“- Ausstellung über plastinierte Menschen ist auch eine Plakatpräsentation zu sehen, mit der sich das Museum direkt in eine laufende Auseinandersetzung am Standort Mannheim einmischt.

Hintergrund ist der Verkauf des Pharmaunternehmens Boehringer an den Schweizer Chemiekonzern Hoffmann-LaRoche durch den Hauptaktionär Curt Engelhorn zu Beginn des Jahres. Seither protestiert die Belegschaft des Unternehmens, das unter anderem Marktführer in Diagnostiksystemen der Laboranalyse ist, gegen die geplante Schließung einzelner Unternehmensteile. Die Ausstellung wurde binnen weniger Tage zusammengestellt, noch bevor europäische und amerikanische Kartellbehörden den Deal endgültig abgesegnet haben.

Möglich war diese Aktion, weil die Verantwortlichen im Landesmuseum unbürokratisch reagierten und die Belegschaft sich an den Heidelberger Graphikkünstler Klaus Staeck wandte. Der ging in den Betrieb, half bei der Auswahl der Exponate und steuerte eigene Plakate bei. Zum Teil stammen sie noch aus den 70er Jahren: „Der Aktionär ist das größte Säugetier“ heißt es da, während die Boehringer-Plakate unter anderem zeigen, daß der Kampf um Arbeitsplätze heute mit modernster Technik ausgefochten wird.

Dank Computer und Plotter sind erzählende Protestplakate entstanden. Charlie Chaplin liegt computergeneriert mit seinen Schraubschlüsseln auf dem großen Zahnrad. Darunter der Satz: „Auch wir wollen, daß die Maschine rollt, aber mit jedem einzelnen von uns.“ Auf einem anderen Plakat steht ein Feuerwehrmann von Hoffmann-LaRoche auf dem Boehringer-Gelände und meint per Sprechblase: „Entschuldigung, ich soll hier Arbeitsplätze auslöschen“. Daneben ein Objekt à la Uecker: ein Nagelbrett mit 6.898 Nägeln (so viele Beschäftigte hat Boehringer), aus dem 1.400 Nägel (so viele sollen entlassen werden) gekippt sind und angerostet auf dem Boden liegen. Die nagelfreie Fläche ergibt das rautenförmige Emblem von Hoffmann-LaRoche.

Objekte wie diese sind in einem Museum für Technik und Arbeit genau richtig: „Wir sind ein Forum für Diskussionen dieser Art. Daß wir uns mit gesellschaftlich strittigen Themen auseinandersetzen sollen, steht ausdrücklich in unserer Satzung“, so der Museumsdirektor Lothar Suhling, der natürlich weiß, daß ein derartiges Engagement auch pikante Seiten hat. Das Landesmuseum wird von der Stadt Mannheim und dem Land Baden-Württemberg finanziert, zumindest einer der Dienstherren, Mannheims OB Gerhard Widder, dürfte angesichts der Ausstellung eher gemischte Gefühle haben.

Denn einerseits hat er sich mit Curt Engelhorn in verschiedenen Aufsichtsräten getroffen und überreichte ihm noch letztes Jahr bei einem Gala-Dinner den Kurpfalz- Teller als Auszeichnung für seine wirtschaftlichen und kulturellen Verdienste. Andererseits geht es um sehr viele Arbeitsplätze für die Region, während der Milliardendeal steuerfrei über eine Holdinggesellschaft auf den Bermudas abgewickelt wurde. Der Gewinn bleibt in der Familie Engelhorn, die künftige Arbeitslosen- und Sozialhilfezeche zahlt die Stadt Mannheim, wo man sich vor allem über die Hintergründe des Industrie-Coups schwarzärgern dürfte.

Denn im Vorfeld gab es ein kurpfälzisches „Dallas“ mit dem Hauptakteur Curt Engelhorn (71), der sich heillos mit seinen Familienmitgliedern und Anteilseignern zerstritten hatte. 1993 wollte er zum großen Schlag ausholen und verpflichtete Max Link, einen Ex- Sandoz-Mann, als außerfamiliären Manager. Pech für Engelhorn, daß sich ausgerechnet sein Managementtorpedo mit Anteilseignern verbündete und Engelhorn selbst ausbooten wollte. Der allerdings ging als Sieger aus dem Machtkampf hervor, heute kann man sich den greisen Firmenlenker als eine Art Softvariante Ernst Jüngers vorstellen, der auf den Bermudas „im milden Golfstrom um seine Wohninsel schwimmt“ (Bild). Bis 100 will er durchhalten, sagt er, und habe er das geschafft, hänge das Schicksal ihm bestimmt noch 20 bis 30 Jahre dran.

Da hat sich einer durchgesetzt und übt jetzt Rache. Beim Verkauf des Familienkonzerns mußte er den Hardliner spielen – auf Kosten der Belegschaft, die ihm während des Konflikts mit dem Clan den Rücken stärkte. Dem Fachblatt Cash gestand Curt Engelhorn, Hoffmann-LaRoche habe letztlich 11,2 Milliarden Dollar (zirka 20 Mrd. DM) gezahlt, hätte für den Fall einer Arbeitsplatzgarantie aber nur 10,5 Milliarden Dollar rausgerückt. Die Arbeitsplatzgarantie hatte ohnehin einer der verfeindeten Anteilseigner verlangt, worauf Curt Engelhorn nicht eingehen wollte. Nicht etwa, weil er sich mit dem zusätzlichen Geld Frühstückseier für die nächsten fünfzig Jahre sichern wollte, sondern weil die Forderung ausgerechnet von einem der gescheiterten Königsmörder kam. Und in solch einem Fall gilt auch im kurpfälzischen Bermudadreieck das Faustrecht. Jürgen Berger

Bis 30. Januar, Landesmuseum für Technik und Arbeit, Mannheim