Wird die Schultafel zum Werbeträger?

■ Berliner Senat will das Werbeverbot an Schulen lockern. Selbst die Grünen unterstützen Kommerzialisierung. GEW lehnt ab

Ein Coca-Cola-Schriftzug in leuchtenden Lettern auf dem Schuldach, Plakate von Burger King im Klassenzimmer – schon ab Januar 1998 könnte dies zum Berliner Alltag gehören. Eine aktuelle Anweisung der Senatsverwaltung sieht vor, das Werbeverbot an öffentlichen Gebäuden zu lockern – wovon auch Schulen betroffen sind. Ausdrücklich verboten sind lediglich Reklame für Alkohol und Zigaretten sowie Parteienwerbung. Die Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) verteidigt die Pläne als „zeitgemäß“. Werbeeinnahmen brächten der Schule mehr „Flexibilität und innere Autonomie“, die letztlich den Schülern zugute komme.

Von der Industrie kommen die ersten Glückwunschadressen: „Für uns ist das natürlich sehr interessant“, erklärt die Berliner Geschäftsstelle von Burger King. Mit einzelnen Schulen werde schon verhandelt. „Unsere Hauptzielgruppe hält sich nun mal den größten Teil des Tages in der Schule auf“, gibt auch Kai Falke zu, Sprecher der Coca-Cola AG.

Als einen „Angriff auf die pädagogische Unabhängigkeit der Schulen“ bezeichnet hingegen die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) den Berliner Vorstoß. Das Lernziel „kritischer Konsument“ könne nicht mehr glaubhaft vertreten werden, „wenn die Schule bei den Unternehmen im Sold steht“, erklärt Erhard Laube von der GEW Berlin. Die Gewerkschafter prophezeien: Der Staat wird sich in dem Maße, in dem Werbeeinnahmen in den Schulhaushalt fließen, weiter aus seiner Verantwortung zurückziehen. Laube: „Es ist eine Illusion zu glauben, am Ende besäße die Schule mehr Geld.“ Statt dessen würden die Schulen in einen Wettkampf untereinander gedrängt, der bereits bestehende Ungleichheiten weiter verstärke. „Hauptschulen in sozialen Brennpunkten sind natürlich weit weniger interessant für die Werbeindustrie als Gymnasien mit Schülern aus wohlhabendem Elternhaus“, sagt Marianne Demmer vom Bonner GEW- Hauptvorstand.

Für eine Überraschung gut sind indes die Grünen: „Die Lockerung des Werbeverbots an Schulen ist richtig“, sagt Sibylle Volkolz, bildungspolitische Sprecherin der Partei in Berlin. Begründung: „Die Schule braucht eigene Einnahmequellen, um sich selbst helfen zu können.“ In Zeiten knapper öffentlicher Kassen müßten die Bürger an ihre Mitverantwortung für die Schule erinnert werden. Ein gemeinsamer Fonds, in den jede Schule 20 Prozent ihrer Einnahmen abgibt, soll für einen Ausgleich zwischen den Schulen sorgen.

Ohnehin gehört Sponsoring schon heute zum Alltag an fast jeder deutschen Schule. So werden beispielsweise in elf Bundesländern die Schulen mit den Programmen einer einzigen deutschen Softwarefirma ausgestattet: Die Kultusminister unterschrieben die entsprechenden Verträge. Allein im letzten Jahr hat der Coca-Cola- Konzern an 1.000 Schulen in Deutschland eigene Veranstaltungen durchgeführt. Entsprechend gelassen sieht man das Thema Werbung an den betroffenen Berliner Schulen: „Ob McDonalds im Klassenzimmer werben darf, entscheiden wir selbst“, sagt Olaf Garbe, Schulleiter im Bezirk Marzahn, selbstbewußt. Viel interessanter sei ohnehin Sponsoring – im letzten Jahr habe die Schule private Zuwendungen im Wert von 25.000 Mark angenommen. „Die Anschaffung eines neuen Computerkabinetts sowie die Sanierung einiger Klassenräume wäre sonst nicht möglich gewesen“, erklärt Garbe.

Was bislang nur Eltern in Fördervereinen tun dürfen, nämlich um Sponsoren werben, will er selbst in die Hand nehmen können: „Wir brauchen das Recht auf eigene Einnahmen.“ Werbung muß nicht die eizige Einnahmequelle sein. Denkbar ist auch ein „Leasing“ der Schul-Infrastruktur an private Kursanbieter. Garbe: „Es wäre prima, wenn uns der Staat dies gestatten würde.“ Noel Rademacher