„Frevel an der Seele des toten Dichters“

Berlin und Brandenburg versuchen das 100. Todesjahr Fontanes 1998 zu vermarkten. Geschäftsleute ließen jedoch den Namen des Romanciers als Markenzeichen schützen. Ein Prozeß um die Einnahmen steht bevor  ■ Von Ralph Bollmann

Mehr ist von Fontane nicht übriggeblieben. Ein Grabstein aus der Nachkriegszeit, ein paar immergrüne Pflanzen, ringsum eines jener Zäunchen, die jede Berliner Blumenrabatte einhegen. Ob Touristen für einen Besuch auf dem Französischen Friedhof, an der Grenze zwischen Mitte und Wedding, eigens nach Berlin reisen?

Wohl kaum, meint selbst der Sprecher der Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM). „Man muß ja realistisch bleiben“, begründet Bernd Buhmann die eher sparsame Werbung für das 100. Todesjahr Fontanes, „wir dürfen die Besucher nicht enttäuschen“. An der alten Potsdamer Straße, wo der Dichter bis zu seinem Tod 1898 immerhin 26 Jahre lang lebte, wachsen heute Bürotürme empor. Am Spreebogen, wo die Berliner Szenen des „Stechlin“ spielen, klaffen die Baugruben des künftigen Regierungsviertels.

Brandenburg hat es besser. In Neuruppin steht wenigstens noch das Haus, in dem Fontane 1819 das Licht der Welt erblickte. Schneller als die Ruppiner selbst erkannten freilich zwei Wirtschaftsberater aus Tirol und aus dem Sauerland die Chancen, die darin stecken. Christian Schmid und Franz-Martin Heder kamen zwei Jahre nach der Wende in die märkische Stadt. Schmid beriet die Kommune bei der Privatisierung ihrer Stadtwerke, Heder sammelte Spenden für die Wiederherstellung des Tempelgartens. Bei dessen Eröffnung begegneten sich die beiden zum ersten Mal und führten ein Gespräch „unter Wirtschaftsberatern“, wie Heder sagt.

Wenig später gründeten sie eine Firma namens „Fontane Tourismus Service (FTS)“, deren Namen sie beim Deutschen Patentamt in München als Markenzeichen eintragen ließen. Damit dürfe, so verkündeten sie, niemand außer ihnen den Namen „Fontane“ für touristische Zwecke nutzen. Großzügig boten sie der Stadt Neuruppin einen „Kooperations- und Konsulentenvertrag“ an. Die Stadt hätte dann an den Rechten partizipieren und auf das „Know-how“ der beiden zurückgreifen können – gegen Bezahlung, versteht sich.

Doch hatten Schmid und Heder ihre Rechnung ohne die Stadtväter gemacht. Statt einen Vertrag abzuschließen, wollte die Stadtratsfraktion „Pro Ruppin“ lieber das Münchner Patentamt verklagen. Schließlich gründete die Kommune ihr eigenes „Büro Fontane“. Geklagt haben die Rechte-Inhaber trotz vollmundiger Ankündigungen noch nicht. Doch habe er „eine große Münchner Anwaltskanzlei“ damit beauftragt, „sämtliche Prospekte unter die Lupe zu nehmen“, sagt Schmid, der sein Büro in Neuruppin inzwischen wieder geschlossen hat. Vor Gericht will er erst dann ziehen, wenn die Jubiläumsangebote 1998 „am Markt sind“.

Heder, der in Neuruppin bleiben will, findet Schmids Methoden inzwischen zu rabiat. „Bis ich mich mit Doktor Schmid eingelassen habe“, sagt er heute, „war ich im Einvernehmen mit der Stadt Neuruppin“. Die Hauptschuld am Zerwürfnis sieht er freilich bei der Kommune. „Alte Seilschaften“ regierten dort noch immer, im Stadtrat gebe es „keine Opposition“. Das will er ändern: Im Herbst trat er in die CDU ein, für die er sich bei den nächsten Wahlen um ein Stadtratsmandat bewerben will.

Seit Heder und Schmid getrennte Wege gehen, liegt auch ihr Projekt eines „Alpen-Fun-Parks“ in der Stadt Brandenburg auf Eis. Auf einem 100 Hektar großen Gelände wollten sie Berge aufschütten und Täler eingraben. Die Besucher sollten dort im Winter rodeln und skifahren, im Sommer klettern, radfahren und mit dem Gleitschirm fliegen. Statt dessen führt Heder jetzt im Altruppiner Hotel Gildenhall sein „Makler-Kontor Ruppin (MKR), Tourismus-Profi- Center“ – als „Ein-Mann-Betrieb“, denn „ich produziere meine Ideen im Kopf“. Neben Fontane hat er sich auch den Markennamen „Ruppiner Land“ gesichert, der fürs Marketing ein „Wahnsinnsclou“ sei.

Bei Fontane hingegen ist er inzwischen ähnlich skeptisch wie die Berliner Tourismus-Werber. Das „Produkt“ Fontane hält er zwar nach wie vor für „marktfähig“ – jedoch nur bei einer quantitativ „kleinen Klientel“, die aber qualitativ einen „tausendprozentigen Anspruch“ stelle. Das Fontane- Programm der Neuruppiner empfindet er daher als Fehlplanung. Von der offiziellen Eröffnung am 3. Mai, zu der Roman Herzog, Manfred Stolpe und Eberhard Diepgen anreisen, bis zum Todestag am 20. September bieten die Stadtväter zwanzig Wochen lang ein Programm, das einen deutlichen Schwerpunkt auf Massenveranstaltungen mit Jahrmarktscharakter hat. Den Todestag zu „feiern“, empfindet Heder als „Frevel an der Seele Fontanes“.

Leuten, die mit Fontane mehr als nur einen Markennamen verbinden, wird angesichts des Fontane-Rummels ohnehin ganz blümerant. „Fontane-T-Shirts und Fontane-Regenschirme“ wecken beim Vorsitzenden der Fontane-Gesellschaft den Wunsch, „daß da einige Warnlichter angehen“. Für Helmuth Nürnberger ist Fontane ohnehin nicht der romantische Schwärmer, den die märkische Tourismus-Werbung jetzt aus ihm machen will, sondern „der große Gesellschaftskritiker seiner Zeit, der Dichter der großen Stadt, der Metropole“.

Doch während der Tourismusverband Land Brandenburg „seit zweieinhalb Jahren an dem Ding dranne“ ist, so der dortige Marketingchef Thomas Bracht, „hat' s Berlin sehr, sehr spät wahrgenommen“. Immerhin hat das Bezirksamt Tiergarten jetzt versprochen, bis zum Auftakt der Festivitäten im Mai das arg ramponierte Fontane-Denkmal im Tiergarten aufzumöbeln.