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Der Rubel rollt wieder ohne Nullen

Beutelschneidereien wie bei den bisherigen russischen Geldreformen sollen verhindert werden. Doch der Einzelhandel rundet zu seinen Gunsten erheblich auf, vor allem bei billigen Gütern  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Das neue Jahr beginnt in Rußland mit einer Geldreform. Eine „rein technische Operation“, bloße Formalität, beschwichtigt Rußland Zentralbank die notorisch mißtrauischen Bürger. Was bisher 1.000 Rubel waren, wird nun zu einem. Zurück kehrt die von der Inflation seit dem wirtschaftlichen Umbruch 1992 geschluckte althergebrachte Kopeke: als ein Hundertstel eines Rubels. So, wie es immer war.

Für Wjatschaslaw Fomenko, einen 62jährigen Moskauer Rentner, bedeutet die „rein technische Seite“ der Reform indes knapp 15 Prozent Verlust. Die Kopfschmerztabletten in der Auslage der Apotheke zeigen bereits den neuen Preis. Statt den ehemals 850 kosten sie nun einen Rubel. Die Aufrundung der „Einfachheit halber“ wird dem Handel in den nächsten Wochen einen einträglichen Zugewinn verschaffen. Besonders bei Waren, deren Preis vom Staat künstlich niedrig gehalten wurde – wie Medikamente und Brot. Ein Laib kostet 2.800 Rubel (90 Pfennig). Davon betroffen sind vor allem einkommensschwache Schichten. 41 Prozent der Pensionäre befürchten in einer Umfrage, die Reform würde die eingedämmte Inflation wieder ankurbeln.

Der Staat hat sich diesmal wirklich Mühe gegeben, seine Bürger frühzeitig zu informieren. Bereits im Sommer kündigte man die Reform an. Schauspieler und Publikumslieblinge defilieren seit Wochen durch die TV-Stationen und geben ihr Bestes, um die Bevölkerung zu beruhigen. Die Regierung hat allen Grund dazu: Zwei Geldreformen haben in den neunziger Jahren stattgefunden. 1991 dekretierte Altpräsident Michail Gorbatschow den Einzug aller 50- und 100-Rubel-Noten innerhalb von drei Tagen. Ziel war es, die Umlaufmenge des Geldes zu reduzieren. Panik setzte ein, und viele blieben auf ihrem alten Geld sitzen. 1993 wurden die sowjetischen Scheine dann gegen russische ausgewechselt. Zwar bedeutete das keinen finanziellen Verlust für den einzelnen, die Organisation des Unternehmens ließ allerdings einiges zu wünschen übrig.

Die alten Noten behalten unterdessen ihre Zahlungskraft bis Ende 1998. Danach tauschen die Banken alte Scheine noch im Laufe von vier Jahren gegen neue um. Die für russische Verhältnisse äußerst humanen und transparenten Maßnahmen beseitigen dennoch nicht die tiefsitzenden Zweifel. Witalij Tretjakow, Chefredakteur der Nesawissimaja Gaseta, konstatierte denn auch: „Keine einzige Reform im zaristischen, kommunistischen oder demokratischen Rußland – insbesondere Geld- oder Wirtschaftsreform – wurde so durchgeführt, daß die Menschen nichts verloren hätten.“

Die Regierung beabsichtigt mit der Reform indessen, das Vertrauen in den Rubel zu stärken. Denn 1997 hatte die Inflationsrate 1997 ihren niedrigsten Stand erreicht. Der symbolische Akt des Nullenstreichens signalisiert: Die Zeiten der Hyperinflation von über 2.000 Prozent im Jahr sind überwunden, und Rußlands Wirtschaft bewegt sich langsam in Richtung Stabilität. Die Zentralbank hofft, mit Hilfe dieses Signals, längerfristige aus- und inländische Investitionen an Land zu ziehen.

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