„Da ist ein gewisses Machtbewußtsein mit dabei“

■ Fundraisingexperte Steffen Scharrer von der Bundesgemeinschaft Sozialmarketing meint, daß die Spende ein Produkt ist. Man kauft es, um sich gut zu fühlen. Denn Spenden hat mit Emotionen zu tun

taz: Warum spenden wir für andere Menschen?

Steffen Scharrer: Spenden ist ein Stück Demokratie. Jeder kann selbst entscheiden, was ihm am Herzen liegt, ob das soziale Zwecke sind, ob das aus dem Bereich der Jugendhilfe, dem Umweltbereich ist. Die Leute können frei entscheiden, welche der angebotenen Hilfsorganisationen sie unterstützen möchten. Das ist der Unterschied zum Steuerzahlen, wo es diese freie Entscheidung ja nicht gibt.

Die Leute geben ihr selbst verdientes Geld, was haben sie davon?

Die Spende ist ja letztendlich auch eine Art Produkt. Die Organisationen haben ein Produkt, das die Leute kaufen, indem sie spenden. Nur sind Spenden eben nichts zum Anfassen, das sind keine Staubsauger, sondern es ist ein imaginäres Produkt.

Warum sollte jemand dieses Produkt kaufen?

Es ist wohl tatsächlich so, daß die allerwenigsten aus rein altruistischen Motiven spenden. Fundraiser gehen davon aus, daß der Spender selbst eine Art Befriedigung empfindet, wenn er dafür sorgt, daß es dem andern besser geht. Er fühlt sich gut dabei. Man sagt aber auch, daß da ein gewisses Machtbewußtsein dabei ist. Da ist beispielsweise das Kind, das hungert. Und ich, der Spender oder die Spenderin, entscheide, ob ich die Zahlkarte ausfülle und damit dafür sorge, daß das Kind nicht mehr hungert. Das ist so eine Art Macht, die man da tiefenpsychologisch hineindeuten könnte.

Wie gehen Sie als Fundraising- experte mit dieser Erkenntnis um?

Das Ideale wäre sicherlich, wenn man den Spender vom Kopf her überzeugen könnte, daß es wichtig ist, diese Projekte zu unterstützen. Wenn man das aber mit Argumenten versucht, dann hat man schon verloren. Spenden hat sehr viel mit Emotion zu tun. Mit Emotion arbeiten auch die meisten Spendenbriefe.

Wie können die Organsiationen mit diesen Anschreiben Spender gewinnen?

Da ist erst mal das Einzelschicksal, der Blickfang, ein Mensch beispielsweise, dem es schlecht geht. Mit dem Einzelfall zu beginnen, das ist ja auch ein journalistisches Mittel und im Spendenmarketing noch notwendiger. Man muß den Leuten die Sache so vermitteln, daß sie sich das konkret vorstellen können.

Gibt es diese konkreten Fälle, den blinden Enrico aus Chile, das Straßenkind Leon aus Recife, denn wirklich?

Davon kann man ausgehen.Ich denke schon. Was unter Umständen geändert wird, ist der Name. Einmal, weil man ihn vielleicht nicht genau weiß, oder weil man die Identität der Person, für die gesammelt wird, schützen möchte. Wichtig ist, daß man nicht den Eindruck erweckt, das Geld, die 50 Mark oder wie auch immer, käme nur diesem einzelnen Kind zugute. Es ist ja nicht so, daß man zu den hungernden Menschen hingeht, denen einen 50 Mark Schein in die Hand drückt und sagt, so, das hat der Herr Meyer aus Berlin gespendet. So funktioniert die Arbeit nicht, auch wenn die Leute das gerne so sehen würden. Man muß erklären, wie die Organisation wirklich arbeitet.

Die Werbung für Spenden ist nicht das gleiche wie Werbung für Kosmetik oder Zigaretten. Denn durch Zigarettenwerbung wollen die Leute ja verführt werden, obwohl oder gerade weil sie wissen, daß die Versprechungen nicht stimmen.

Genau, das ist ein großer Unterschied zum Fundraising. Für mich ist das oberste Gebot, daß die Spendenwerbung glaubwürdig sein muß. Das ist das Wichtigste. Billigwerbung, wie sie von manchen Lotterien gemacht werden, mit Rubbellosen und so weiter, das würde ich ablehnen, das ist der Sache nicht angemessen und dem Spender nicht zu vermitteln. Interview: Barbara Dribbusch