Das nachrichtengefüllte Wohnzimmer

Heute vor 20 Jahren gingen erstmals die „Tagesthemen“ und das „heute-journal“ auf Sendung. Zeit und Anlaß, über die Geschichte beider Nachrichtenmagazine, ihre Protagonisten und über Vorlieben für das eine oder andere nachzudenken

Als Fernsehnachrichten noch eine Sache von korrekt betrübten Blattlesern waren, erreichten sie als mehr oder minder objektive Offenbarungen der großen Welt das mehr oder minder behagliche Wohnzimmer. Der Vater übernahm zumeist die Aufgabe, diese Nachrichten fachkundig und menschlich angemessen zu kommentieren, so wie er seit der Biedermeierzeit der Frau und der Familie das Notwendige aus seiner Zeitung mitgeteilt hat. Traf seine Interpretation der so sachlichen und daher unvollständigen Nachrichten auf Widerspruch, war der Familienkrach da. So schön konnte Fernsehen sein.

Aber ach, die Väter der deutschen Fernsehfamilie wurden alt und krank, und was nach ihnen kam, war das Zweitgerät. So wären wir ganz allein mit den furchtbaren Nachrichten, die unendlich suggestive und chaotische Welt betreffend, den kryptischen Verlautbarungen der Mächtigen und den sinnlosen Katastrophen. Denn der korrekt besorgte Mensch, der sie verlas, konnte die Unordnung in unseren Köpfen um so weniger wieder bereinigen, als zunehmend Bilder zum eigentlichen Transportmedium der Weltsichten wurden. Und immer weniger paßte das „Authentische“ des Bildes und das „Objektive“ des Textes zusammen, ganz abgesehen davon, daß es nicht einmal zu sich selber paßte.

Das Fernsehen hatte ein Einsehen und schuf mit den Nachrichten-Magazinen „Tagesthemen“ und „heute journal“ eine neue Sendeform, die zunächst einmal, so schien es, der Nachricht Breite und Tiefe verleihen sollte. „Hintergrundinformation“ hieß das, und es brachte vor allem ein buntes Allerlei von Nachricht, Kommentar, Glosse, Interview und Feuilleton. Statt der streng hierarchischen Gliederung ein melodramatischer Spannungsbogen, statt objektiver, seltsamer Nachrichten aus einer chaotischen Welt der Mythos eines umfassenden, geordneten moralischen Weltbildes.

Aber das Wichtigste war, daß nun neben den Blattleser oder die Blattleserin eine mediale Person getreten war, für die Moderation (was so viel wie Dämpfung heißt), im englischen auch als anchorman oder anchorwoman bezeichnet, letzte, schöne, menschliche Sicherheit im stürmischen Meer der Nachrichten und Bilder. Mit dem Nachrichtenmagazin sendete das Fernsehen nicht mehr objektive Nachrichten ins Wohnzimmer, es sendete gleich ein ganzes, nachrichtengefülltes Wohnzimmer, und weil der echte Vater sowieso tot, betrunken oder weise geworden war, übernahm darin der Moderator die Funktion des fürsorglichen Biedermeier-Vaters, der uns jovial aus dem Fluß der Nachrichten das Wichtigste mitteilt. Nach geraumer Zeit hatte diese Funktion auch nichts mehr mit dem Geschlecht der anchorperson zu tun, sondern mit der perfekten Darstellung von „Glaubwürdigkeit“, damit, daß jemand das Autoritär-Abstrakte des Textes, das Authentisch-Lustvolle des Bildes und das Behaglich-Klaustrophobe des Wohnzimmers in einem klaren und mehr oder minder klassenlosen Code von Stimmlagen, Gesten und mimischen Idiomen zusammenfassen kann.

Am Ende haben sich die Welt und das Wohnzimmer in „Tagesthemen“ und „heute journal“ so perfekt miteinander verbunden, daß wir die beiden Lebensräume in Wirklichkeit gar nicht mehr brauchen. Die Welt als Produzent widersinniger Nachrichten ist zum biedermeierlichen Kammerspiel geworden, in dem uns Ulrich Wickert am Ende mit einem mehr oder minder gelungenen Scherz und einem alles verzeihenden Schmunzeln ins finale Satyrspiel entläßt: „Das Wetter“. Jetzt kann das Leben/ das Programm weitergehen. Georg Seeßlen

Abwesende Damen

„Die Brinkleys, die Huntleys, die Crinkites haben Spuren hinterlassen: Warum ist es bei uns immer ein Sprecher, ein Mann, der makellos vom Blatt liest, was die Redakteure ihm aufgeschrieben haben. Journalisten müßten das doch auch können.“ Fragte und schrieb ihr deutscher Erbe Hanns-Joachim Friedrichs. Gefragt hatte er es die ZDF-Hierarchen nach seiner Rückkehr vom US-Korrespondentenjob Ende der 60er. Geschrieben hat er es, nachdem er, der deutsche Journalist, dem deutschen Publikum gezeigt hatte, daß es geht. Anfang der 90er, in seinen Erinnerungen.

Dazwischen lagen gut 20 Jahre, binnen derer die Deutschen sich einen Schritt vorwagten: Aus guten historischen Gründen geächtet war der Gesinnungstäter vor Mikro und Kamera; aus britischer Lehre anerzogen das nachrichtensprechende Neutrum. Zwischen gefährlich und brettlangweilig galt es: „fair“ zu sein, statt der Fiktion der Objektivität nachzuschwärmen; abwägend statt ausgewogen. Heute ist klar, daß es zwischen keiner und zuviel Persönlichkeit in den Nachrichten so viele Fluchtwege gibt wie ModeratorInnen.

Mir persönlich liegen die „Tagesthemen“ eher, mal wegen, mal trotz Ullrich Wickerts beherzter Eitelkeit; neuerdings, weil Gabi Bauer ahnen läßt, daß sie noch richtig aufdrehen könnte. Mach doch! Im „heute journal“ stört mich die Bastelarbeit-Deko und langsam doch die Abwesenheit der Damen – daß dort Ende der 90er Friedrichs Kritik von vor 30 Jahren noch nicht ganz verstanden wurde. Friedrich Küppersbusch

Öfter mal was anderes

„Freie“ müssen ja übermäßig und zu den unmöglichsten Zeiten arbeiten. Ist die „Tagesschau“ mal wieder verpaßt, kann's gut sein, daß als nächst Erreichbares das „heute journal“ dran ist. Oder die „Tagesthemen“. Oder keins von beiden. Weil man mal was anderes sehen will. Die Österreicher und die Deutsch-Schweizer machen das irgendwie niedlicher. Oder einfach eine halbe Stunde Euronews. Überall sieht man Sachen, die man hier nicht zu sehen kriegt.

Das Zeitargument kann die Geburtstagskinder freuen, jeder profitiert davon, das weiß auch die GfK. Was die Horizonterweiterung betrifft, muß doch zu denken geben, wenn ZDF-Vormann von Lojewski im Hausorgan selber sagt: 1) „Das Konzept ist seit 20 Jahren dasselbe geblieben“ und 2) „Im Vergleich mit den ,Tagesthemen‘ beobachte ich immer häufiger, daß Thema 1, Thema 2 und Thema 3 genau die gleichen sind wie bei uns.“ Schlag' ich also vor: Als Geburtstagsgeschenk machen alle mal eine kleine Rundreise zu anderen Sendern. Derweil teilen sich ARD und ZDF den Friedrich Küppersbusch. Der macht das dann schon mit dem „tagsthemen- journal heute“. Ulla Küspert

Ziemlich verwickert

Sag', wie hältst du's mit dem Hintergrund? Ehrlich gesagt: mal so, mal so. Schließlich produziert die Nachrichtenlage selten Hochbrisantes, das mich nur ein, zwei Stunden nach den Normal-News (auf welchem Kanal auch immer) nach „vertiefender Hintergrund-Information“ geifern ließe. Kann normalerweise getrost bis zur Zeitungslektüre am Morgen danach warten. Und für diesen Ach-laß- noch-mal-Nachrichten-gucken- Reflex kommen mir sowohl „heute journal“ als auch „Tagesthemen“ definitiv zu früh daher.

Wenn doch, dann schon lieber die Mainzelmännchen. Schlicht, weil von den drei Gesichtslosen vom „heute journal“ mir keiner egomanisch die Nachrichten verwickert. Auf dem Lerchenberg darf ein notorischer Laienprediger und Sinnspruchdrechsler wie Peter Hahn als Nachrichtenvorleser nur vor acht auf den Schirm, während Herr Wickert, der offenbar denselben PR-Berater wie Hera Lind beschäftigt, bei der ARD ... Im Zweifel vielleicht „RTL-Nachtjournal“? Die müßten nur mal einen Fernsehmoderator einstellen. Reinhard Lüke

Bei Lichte zu betrachten

Der Vorteil des „heute journals“ läßt sich in einem Wort zusammenfassen: einundzwanziguhrfünfundvierzig. Gewiß, eigentlich bin ich der „Tagesthemen“-Typ. Dieses coole Ambiente, die hanseatischen Spitzfindigkeiten, jene Selbstverständlichkeit, mit der die ARD- Nachrichten blau sind! Blau ist cool. Und cool ist spät. Im ZDF sind die Nachrichten mehr erdfarben. Alles sieht nach Ziegelmauerwerk und Birkenfeigen aus, und im Sommer kann man das Ganze sogar noch bei Lichte betrachten. Das verändert einiges.

Daß ich mit den Jahren zum ZDF-Seher geworden bin, erstaunt mich selbst. Zeigt es doch, wie viele Abende ich in den letzten Jahre zu Hause verbrachte. Denn zum Ausgehen ist einundzwanziguhrfünfundvierzig natürlich eine Katastrophe. Aber wenn du müde von der Arbeit nach Hause kommst, noch einen Happen ißt, ein wenig durch die Zeitungen blätterst und die Blumen gegossen hast – dann ist halt einundzwanziguhrfünfunfvierzig. Klaudia Brunst