Zu Weihnachten endlich einmal nichts tun

■ Den Pariser Geflügelbrater plagen die hohen Steuern. Teil IV der taz-Weihnachtsserie

Paris (taz) – Wenn bei den Patureaus in Paris der Weihnachtstisch gedeckt ist, macht sich Philip üblicherweise im Schlafanzug über die zwölf Austern mit Zitronensaft und Roggenbrot und die beiden Räucherlachsscheiben her. Auch seine Gattin Paule verbrachte den 24. Dezember wie immer in Freizeitkleidung. Zum „leicht gehobenen Abendessen“ zu Hause, bei dem es „ausnahmsweise kein Geflügel“ gibt, trank sie ein paar Glas Champagner. Dann gingen beide früh ins Bett. Mehr Weihnachtsfeier, Geschenke gar sind bei dem Paar mit den längst ausgeflogenen erwachsenen Kindern und „ohne enge Familienbande“ nicht üblich. „Wir arbeiten das ganze Jahr über 14 Stunden am Tag“, erklärt der Geflügelbrater, „da ist für uns das Besondere, wenn wir einmal nichts tun und entspannen können.“

In diesem Jahr haben die Patureaus das Metallrollo ihrer Geflügelbraterei im Quartier Lorette im 9. Pariser Arrondissement für vier Tage heruntergelassen. Es ist das erste Mal, daß sie dieses Wagnis eingegangen sind. Bislang war der kleine Laden immer geöffnet – die Sonntagvormittage, den Ferienmonat August, Weihnachten und die anderen Feiertage eingeschlossen. Bloß an den Montagen bleibt er, wie die meisten französischen Geschäfte, zu. Dann machen sich die Patureaus hinter verschlossenen Türen an Grillstangen und der Wochenplanung zu schaffen.

Möglich war die Weihnachtspause, weil die Patureaus jetzt ihren vor sieben Jahren aufgenommenen Kredit für die Modernisierung des Geschäfts abbezahlt haben. Damals hatten sie vom traditionellen Geflügelverkauf auf Fertigessen umgestellt. Denn in das alte Bürgerviertel zu Füßen von Montmartre waren immer mehr Büros eingezogen, und das Rohgeflügel verkaufte sich nicht mehr. Trotz des Aufwandes war die Investition richtig, meint Philip Patureau heute, da er täglich an die hundert Mittagessen an Laufkundschaft aus den Büros und ein paar Dutzend Abendessen auf Bestellung verkauft.

Die Franzosen, die sich nur „ganz langsam auf Fertigessen eingelassen haben“, seien weiterhin „schwierige Kunden“, meint der 45jährige. Zu dem kritischen Blick auf die Qualität geselle sich zunehmend die Kontrolle des Preis-Leistungs-Verhältnisses. Seit vier Jahren haben die Patureaus deswegen ihre Preise für die Hühnchenschenkel, Hasenbraten-Brötchen und Schweinebraten mit Fritten nicht erhöht. Und obwohl sie ihre Hühnchen „zu guten Konditionen“ bei zwei Landbauern und auch die täglich verarbeiteten 40 Kilogramm Kartoffeln direkt beim Erzeuger einkaufen, ist die Gewinnspanne gesunken.

Dafür sind die Steuern gestiegen. Schon in den 80er Jahren hatte der sozialistische Premierminister Michel Rocard die „CSG“ erfunden – die „Allgemeine Sozialabgabe“, die die Patureaus jährlich rund 3.000 Franc (900 Mark) kostet. Sein konservativer Nachfolger Alain Juppé hat sich eine zweite Steuer zum Abbau der Staatsschulden wegen des Euro ausgedacht. Seine „RDS“ – Rückzahlung der Schulden – kostet die Patureaus noch mal soviel. Der rasante Abstieg von Juppé in der Gunst der Öffentlichkeit ist zu einem großen Teil auf diese hohe Besteuerung zurückzuführen.

Gespart haben die Patureaus wie viele andere kleine Patrons bei den Personalkosten. Statt wie früher mit einer Angestellten macht das Paar heute fast alles allein. Von den Preisverhandlungen über das morgendliche Kartoffelschälen bis hin zum Verkauf. Im Notfall hilft die Schwester der Gattin aus. „Wenn ich einen Angestellten hätte, müßte ich den Umsatz erhöhen. Das kann ich nicht“, begründet das Philip Patureau.

„Politisch steuert Frankreich auf eine Katastrophe zu“, sagt der Geflügelbrater, wenn es um Sozialabgaben und Steuern geht. „Weil jetzt die Börse und das internationale Kapital entscheiden, wird es hier immer mehr Stellenabbau und Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland geben.“

Die eigene Zukunft sehen Philip, der seit früher Jugend mit Geflügel gearbeitet hat, und Paule Patureau, die früher einmal Artistin war, anderswo. Ein Angestellter will Philip nicht werden, weil er „Patrons haßt“. Sein Traum ist es, eines Tage in den Süden zu ziehen, „mit Blick auf Tannen und Berge“ und dort eine Ferienpension mit Pferden aufzumachen.

Aber dazu müßte er erst einmal seine Geflügelbraterei loswerden. Augenblicklich, da „ganz Paris zum Verkauf steht“, ist das nicht einfach. Zumal er nach Landessitte einen Abstand für seinen Laden haben will. Und dessen Wert ist in den letzten Jahren um die Hälfte gesunken. Dorothea Hahn