Die Muskeln darf man nicht sehen

■ Der Weser-Boxring in Bremerhaven ist ein Sportverein mit ausgeprägtem sozialem Touch. Erfolgreich ist er außerdem. Und längst nicht nur was für harte Männer.

Zwei spielende Boxer. Bewegung in den Hüften, rhythmischer Wechsel von lässiger Zurückhaltung und nasenstüberndem Angriff. Das unablässige Trippeln der Beine und die aufmunternd-spöttischen Kommentare von jenseits der Seile.

Im Weser-Boxring (WBR) in Bremerhaven stehen an den Trainingsabenden auch mal Siebenjährige im Ring, die Handschuhe so groß wie die Köpfe, halbhoch vor der Brust, mit offener Deckung.

Schweigend sitzt Mahmut Abuslei nachher in der Umkleidekabine und lauscht der Verwandlung von Hieben in Worte. „Mein Bruder“, sagt Marcel und guckt liebevoll auf seinen Bruder Mondy, „als mein Bruder norddeutscher Meister wurde, stand er einem K.O.-Schläger gegenüber. Ausgeboxt hat er den. Ließ ihn einfach ins Leere laufen. Der haute voll zu ...“, „... und“, übernimmt Mondy den Faden der eigenen Geschichte, „ich geh' einen Schritt rückwärts; der schlägt in die Luft und – bumbum – bin ich an ihm dran.“Ein Profi, der 13jährige Papiergewichtler.

Von deutschen und norddeutschen Meistern und Vizes wimmelt es nur so in der Umkleidekabine. Mondy und Marcel Pohl, Angelo Balke, Ludwig Lauenburger. Auch der 18jährige Eugen Buchmüller, internationaler deutscher Meister der Junioren von 1996, kommt vorbei. Nicht zu vergessen Junior Founten, neun Jahre. Ein Pummel mit fröhlichem Grinsen. „Der kleine, dicke Neger“, sagt der Vorsitzende des Vereins, Albert Fahlbusch, sehr liebevoll. „Beim letzten Tag der offenen Tür war der plötzlich da und ist immer hinter uns hergelaufen. Seitdem ist er fast jeden Tag hier. Den Jungen haben sie wegen einer Herzoperation von oben her aufgeschnitten. Der wird natürlich nie boxen. Aber ein ganz kesser Junge ist er in den drei Monaten hier geworden. Obwohl er kein Sparring macht.“Gehänselt, sagt Fahlbusch, werde Junior nicht. „Wir haben Marcel und Angelo als seine Beschützer aufgebaut.“

Ein kurzes Zögern, dann setzt Vater Fahlbusch mit einem Kloß im Hals nochmal nach: „Es ist gut, sowas nicht zu vergessen. Mensch, sagt man sich dann: Was hast du doch für eine wichtige Funktion!“Auch ohne Leberhaken. Auch wenn der 61jährige gemeinsam mit den Trainerkollegen die Vereinswelt aufzählt: „Zigeuner, Deutsche, Libanesen, Russen, Polen, Türken, aus Ghana, aus Togo...“, „... Juden“, lacht der Kollege und sein Chef fährt ihn unwirsch an: „Mach jetzt keine Witze!“– „Österreicher, Litauer, Holländer.“„Und weil wir hier so multikulturell sind“, sagt Fahlbusch, „wird bei uns strikt deutsch gesprochen. Der Eugen Buchmüller zum Beispiel, der kam mit elf Jahren hierher. Ein Rußlanddeutscher. Nach drei Monaten sprach der so gut, daß ihn die Lehrer in seiner Schule als Dolmetscher rausholten.“

Seit 32 Jahren ist Albert Fahlbusch Vorsitzender des Vereins. Bis dahin stand er 16 Jahre und 153 Kämpfe für seinen Verein im Ring. Später zog er mit ihm nach Geestemünde ins neuerrichtete Boxcenter „Am Bürgerpark Süd“. Die GEWOBA hatte dafür einen Teil ihres Parkhochhauses umgebaut. Auf Dauer mietfrei. Für den Ausbau zahlte die Stadt Bremerhaven 1,3 Millionen Mark. Für den Unterhalt des Hauses muß der Verein selber aufkommen. Einmal im Monat steht der Kauf eines neuen Sandsacks an, zähes hellbraunes Leder, zerprügelt. Der riesige blaue Schaumgummisack hält länger. Der ist eine Erfindung von Fahlbusch für die vielen Anfänger im Ring. „Damit die sich nicht die Arme an den Sandsäcken kaputtschlagen, bevor die Muskeln aufgebaut sind.“

280 Mitgliedsfamilien hat der Verein; der Monatsbeitrag beträgt 30 Mark, viel Geld in Geestemünde. „Wenn die Jungs dann kommen und sagen, Herr Fahlbusch, meine Eltern können nicht mehr bezahlen, dann sag ich ihnen: Natürlich haben die bezahlt.“

Mit Bodybuilding hat der Sport der Jungs nichts zu tun. „Beim Boxen darf man die Muskeln nicht sehen“, sagt einer. Das Vorbild ist nicht Mike Tyson, sondern Prince Nasseem. Der springt schon mit einem Salto in den Ring. Gentleman-Boxer sind die Jungs allesamt. Seltene Hochachtungsrufe sind zu hören, wenn der Buchmüller im Sparring mit den Oberkörper schneller unter den Schlägen wegpendelt als die freischwingenden Punchingballs.

„Seitdem wir boxen, kloppen wir uns in der Schule nicht mehr“, sagt Angelo. Die Lektion des Trainers hat er gelernt: „Zweimal dürft ihr euch wehren, wenn man euch hänselt. Beim dritten Mal müßt ihr auch weglaufen können.“ ritz