■ In Italien formiert sich die erste „moderne Rechte“ Europas. Die Auseinandersetzung mit ihr könnte auch die Linke wiederbeleben: Weichgespülter Rechtsradikalismus
In Italien vollzieht sich ein politischer Wandel, der Auswirkungen auf andere europäische Länder haben wird. Es ensteht eine regierungsfähige Rechte. Daß sie ausgerechnet aus der Asche der neofaschistischen Bewegung Movimento sociale italiano/Destra nazionale (MSI/DN) hervorgeht, mag beunruhigen. Das ändert nichts daran, daß es sich dabei um den ersten ernsthaften Versuch handelt, einen Ersatz für die jahrzehntelang dominierenden konservativen Parteien aufzubauen. Und das ist nur zu begrüßen.
Geleitet wird die Konstituierung der Rechten von Gianfranco Fini, Chef der Nationalen Allianz (AN). Die hatte er 1994 nach dem Zerfall der traditionellen Parteien – Christdemokraten, Sozialisten, Kommunisten – gegründet, zunächst als Sammelbecken für Rechte, die sich weder mit der MSI identifizierten noch den korrupten konservativen Parteien ihre Stimme geben wollten. Anfang 1995 löste er dann die MSI/DN in der AN auf.
Auf dem ersten Parteitag verlangte Fini von seinen Anhängern, daß sie jeglichem Rassismus und Antisemitismus abschwören. In einer weiteren „Wende“ fordert er nun von seiner Partei die Verdammung des Faschismus. Mussolinis Herrschaft, so erklärt er, sei „ein totalitäres Regime“ gewesen, „und da wir als demokratische Kraft jeden Totalitarismus ablehnen, müssen wir dies auch in Sachen Faschismus tun“. Und um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, bezieht er in dieses Verdikt auch die Endphase des italienischen Faschismus mit ein: die „Soziale Republik“ mit der Hauptstadt Salo im von den Deutschen besetzten Norditalien. Sie wird von ihren Anhängern bis heute als patriotische Alternative zu der stark von Kommunisten beeinflußten Resistenza, dem Widerstand gegen die Nazi-Besatzung, gesehen.
Finis Forderung ist für viele Altfaschisten in seinen Reihen eine Zumutung. Aber das hat der AN- Chef durchaus in Rechnung gestellt: Laufen sie über zur rechtsradikalen Fiamma tricolore, kann er seine „demokratische Wende“ noch besser verkaufen, auch wenn ihm damit einige Prozent Wählerstimmen verlorengehen. Er weiß: Nur wenn er eine öffentliche Anerkennung der USA und Israels bekommt, wird er regierungsfähig sein. Und da darf eben nicht der geringste Faschismusverdacht auf ihm lasten. Die Erfahrung nach dem Regierungseintritt 1994, als die MSI-Minister in vielen Ländern geächtet wurden, sind ihm noch in guter Erinnerung.
Natürlich ist zu fragen, ob Fini lediglich eine taktische Wende vollzieht, um dann, einmal an der Macht, doch die braunschwarze Sau rauszulassen. Eine durchaus reale Gefahr; schließlich hat Fini eine bewegte rechtsextreme Vergangenheit hinter sich und Mussolini noch vor drei Jahren als den größten Staatsmann Italiens im 20. Jahrhundert bezeichnet. Dennoch haben ihm die Nostalgiker der eigenen Partei nie so recht getraut. Sie vermuteten seit jeher, daß er nicht allzuviel von den faschistischen Idealen hält.
Bei allen Vorbehalten kommt Finis Wende in Italien gut an. Vor allem bei der Linken steigt seine Wertschätzung. Man müsse ihm helfen, verlangte etwa der linksdemokratische Präsident des Abgeordnetenhauses, Luciano Violante. Und der PDS-Bürgermeister von Venedig, Massimo Cacciari, sieht in der Wende „den gottlob endlich eingetretenen Reifebeweis der italienischen Demokratie“. Verstört dagegen reagieren die konservativen Parteien, die aus dem Zerfall der Democrazia cristiana hervorgegangen sind. Eine rechtsradikale MSI war ihnen stets willkommen gewesen. Gegen sie konnte man sich abgrenzen und die eigene undemokratische Praxis, die lange Zeit auch von der katholischen Kirche gestützt wurde, bemänteln. Eine von den Demokraten anerkannte Nationale Allianz dagegen sehen die Christdemokraten als Bedrohung.
Das Programm Finis ist eine bunte Mischung von Forderungen anderer Parteien: Europäisch? Ja, aber nur unter der Bedingung einer herausragenden Stellung Italiens; neoliberal ganz nach dem Gusto der Amerikaner, aber mit sozialen und ökologischen Einsprengseln nach Art der Deutschen; entschieden für eine starke, fast autoritäre Staatsspitze, aber gleichzeitig auch für einen moderaten Föderalismus; überzeugt von der traditionellen Rolle der Geschlechter in der Familie, aber doch wieder für eine moderne Gesetzgebung zugunsten der Frauen.
Es ist ein inhaltlicher Spagat, der niemals in ein Regierungsprogramm umgesetzt werden könnte. Aber darin unterscheidet sich die AN nicht von den anderen Parteien. Der Vorteil gegenüber den konservativen Parteien, die Fini beerben möchte, liegt darin, daß die AN ihre Forderungen ohne den Makel des Scheiterns vertreten kann. Das schnelle Ende der rechtsliberalen Koalition unter Berlusconi wurde ausschließlich diesem angelastet, nicht der AN.
Das ist wohl auch der Grund, weshalb die Konservativen der EU-Länder Finis Wende bisher nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Seit 1989 fühlen sie sich nicht nur als Sieger über die Linken, sondern auch in ihrer Weltanschauung bestätigt. Doch inzwischen zeigt sich, daß die seit fünfzig Jahren in fast allen europäischen Ländern vorherrschenden Konservativen – mitunter auch sozialdemokratisch gekleidet – längst zu opportunistischen Verwaltern der von ihnen selbst verschuldeten Krise herabgesunken sind. Von schlüssigen Konzepten und Zukunftsentwürfen, mit denen man die Malaise bekämpfen könnte, ist kaum ein Ansatz zu sehen. Weshalb die Wähler in Frankreich, England, Italien, vielleicht auch bald in Deutschland, wieder mit der Linken liebäugeln. Doch die Linke versteht sich nach ihrer Niederlage noch nicht als autonom denkende Kraft für zukunftsweisende Projekte, sondern verkauft sich allenthalben nur als die bessere Verwalterin bestehender Mängel. Mit dem Kollaps des Kommunismus ist den Konservativen und auch der bürgerlichen Mitte – Sozialdemokraten und Liberalen – nicht nur das Feindbild abhanden gekommen, sondern auch der Lendenschurz, hinter dem man den Eigennutz und die bloße Versorgung der eigenen Klientel versteckt hatte.
Für die Linke wäre es an der Zeit, sich neu zu formieren. Doch offenbar ist sie dazu noch nicht in der Lage. Zu einfallslos und auch zuwenig gefordert ist sie. Vielleicht, und das ist zunächst nur eine Hoffnung, zwingt die Auseinandersetzung mit einer erstarkenden, sich stabilisierenden und ideologisch modernisierten Rechten, die Neukonstituierung des eigenen linken Denkgebäudes in Angriff zu nehmen. Werner Raith
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