Essen nur vom Besten

■ Spanische Bescherung kommt noch. Teil VI der Weihnachtsserie

Madrid (taz) – Der Einkaufszettel sah aus wie jedes Jahr: getrockneter Schinken, 100 Mark das Kilo, Gambas und Langustinen, 50 Mark pro Kilo, Lammkoteletts für 30 Mark. „An Weihnachten essen wir nur vom Besten“, erzählt Isabel zufrieden. Das war schon immer so, selbst in den schlechtesten Zeiten. „An den drei Festen – Weihnachten, Silvester und Dreikönig – geben wir so viel für Essen und Trinken aus wie sonst in einem ganzen Monat, rund 1.000 Mark“, erklärt die 63jährige Hausfrau ihre Finanzplanung. Was es an Geschenken für sie, ihren Mann José (64) und die zwei Kinder Maribel (38) und Manuel (31) geben wird, überlegt sie noch. Denn in Spanien findet die Bescherung, anders als im übrigen Europa, erst am Dreikönigstag statt. „Doch knausern werden wir dieses Mal nicht“, ist sich das Ehepaar sicher.

Die Zeiten der Geldsorgen sind vorbei, seit Sohn Manuel vor einem dreiviertel Jahr endlich Arbeit gefunden hat – und das auch noch in seinem Beruf als Soziologe. Jetzt schaut er sich nach einer eigenen Wohnung um. Dann können José und Isabel endlich aufhören zu arbeiten. Zwar ist der ehemalige Qualitätskontrolleur einer Autofabrik seit neun Jahren im Vorruhestand. Doch mit einem arbeitslosen Sohn zu Hause reichten die 1.300 Mark Rente nicht. José verdient als Bote und Isabel als Putzfrau etwas dazu. Jetzt wo Manuel Arbeit hat, ist das nicht mehr nötig. Miete fällt keine an, die Eigentumswohnung ist seit Jahrzehnten abbezahlt. Die neue Einbauküche und das frisch eingerichtete Schlafzimmer zeugen von der entspannteren Familienfinanz.

Manuel ist einer von 330.000 Menschen, die dieses Jahr in Spanien Arbeit gefunden haben. Zwar registriert das Arbeitsamt noch immer 12,9 Prozent Arbeitslose – die Gewerkschaften zählen bei Umfragen unter der aktiven Bevölkerung sogar über 20 Prozent. Doch erstmals seit dem wirtschaftlichen Einbruch 1992 geht die Zahl der Arbeitsplätze wieder nach oben. „Spanien geht es gut“, jubelt der konservative Regierungschef José Maria Aznar und verweist stolz auf seine gemachten Hausaufgaben, wie er es gerne nennt: Spanien hat sich in die Spitzengruppe der Europäischen Währungsunion hochgearbeitet.

Mehr Arbeit und vor allem das zurückgewonnene Vertrauen in die Konjunktur läßt die Menschen wieder konsumieren, statt zu sparen. Die so entstehende Nachfrage kurbelt die Wirtschaft an. 3,6 Prozent Wachstum verzeichnet das Wirtschaftsministerium im dritten Quartal dieses Jahres. Die Tendenz zum Privatkonsum wird von den fallende Zinssätzen noch verstärkt. Von 9,0 Prozent Ende 1995 sank der Preis für die Kredite zum Wohnungskauf auf 4,75 Prozent. Viele Familien haben so überraschend jeden Monat ein paar zusätzliche Hunderter in der Tasche.

José und Isabel ist das egal. Sie haben nie einen Kredit aufgenommen. Nach drei Jahren als Immigranten Anfang der Sechziger in Australien konnten sie ihre Wohnung in einem Arbeiterstadtteil Madrids bar kaufen. „Die fallenden Zinsen sind für uns sogar von Nachteil“, sagt José, der einen Großteil der Abfindung aus seiner Entlassung auf Sparbüchern mit langen Kündigungsfristen liegen hatte. Elf Prozent gab es dafür vor neun Jahren, heute sind es nicht einmal mehr drei. José und Isabel suchten deshalb nach neuen Anlagemöglichkeiten und fanden sie im Aktiengeschäft. Ob bei der Privatisierung der Staatsbank Argentaria, des Telekommunikationsriesen Telefónica oder des Erdölkonzerns Repsol, die beiden erstanden ihr Stückchen vom Kuchen. Las José früher immer zuerst den Sport in der Tageszeitung, so ist es heute der Wirtschaftsteil, dem die größte Aufmerksamkeit des Hobby-Brokers gilt.

Tochter Maribel gibt dazu eine Anekdote zum besten: „Als ich vor kurzem zu Hause anrief, klang Mutters Stimme besorgt, als wäre irgendwas Schlimmes passiert. Ich fragte sofort nach Vater. Wegen seinem Bluthochdruck mach ich mir manchmal schon Sorgen. – Die Antwort der Mutter: Nein, hier ist alles in Ordnung, aber die Börse in Tokio ist zusammengebrochen.“

Die Angst um das Ersparte sitzt bei José und Isabel tief. Bereits als Kinder mußten sie mit ansehen, wie ihre Familien im Bürgerkrieg auf der Seite der unterlegenen Republik standen und alles verloren. 1975, nach dem Tod von Diktator Franco, als sich das Land zum Weltmarkt hin öffnete, raffte die Inflation einen Gutteil der Ersparnisse weg. Und 1992/93 schlug der Kursverfall der Peseta innerhalb des Europäischen Währungssystems zu. Die sieben Millionen Peseten, die José 1988 als Abfindung einstrich, waren damals 125.000 Mark wert, heute sind es nur noch 83.000 Mark. Reiner Wandler