Der Bambus als ein Lebenshelfer

■ Im indischen Nordosten wird das Holz der Armen knapp

Guwahati (taz) – Stolz präsentiert Maria Lynghdoh ihr soeben fertiggestelltes Heim: zwei geräumige Schlafzimmer, Küche, Empfangsraum, im Anbau ein Bad und die Toilette für 3.000 Rupien, nicht einmal 150 Mark. Das Rezept: vom Dach bis zum Fußboden, vom Bett bis zum Küchengerät ist alles aus Bambus gebaut, von Familie Lynghdoh und einigen Tagelöhnern in wenigen Tagen schlüsselfertig hingestellt.

Die Sache hat freilich einen Haken: Wenn Termiten, Käfer und Pilze vier, fünf Jahre lang am Bambus genagt haben, muß das Haus abgerissen und neu aufgebaut werden. Ein Steinhaus aber kann sich Maria Lynghdoh nicht leisten.

Im indischen Nordosten ist Bambus eine Lebensart. Hinter jedem Bauernhaus wächst das Riesengras, bis zu 30 Meter hoch. Die harten, aber flexiblen Halme eignen sich zum Bau von Häusern, Zäunen, Brücken, Wasserleitungen, Ackergeräten, werden zu Körben und Behältern verarbeitet. „Ein Haushalt im Bergdistrikt Karbi Anglong erwirtschaftet pro Jahr durchschnittlich 16.000 Rupien (800 Mark) mit der Verarbeitung von Bambus“, berichtet der Botaniker B.K. Tiwari, der das Zentrum für ökologische Entwicklung an der North Eastern Hill University in Shillong, der Hauptstadt Meghalayas, leitet.

Indien besitzt nach China die zweitgrößten Bambusbestände der Welt. Hier kommen 136 verschiedene Arten vor. „Bambus besiedelt sehr schnell die Brachflächen, die der Wanderfeldbau hinterläßt, und verhindert so ein Auswaschen der blanken Erde im Monsunregen“, erklärt Tiwari.

Dennoch, in Indien wird mehr Bambus geschlagen, als nachwachsen kann. „Bambus ist knapp und teuer geworden“, klagt Shrimanti Dutta, die in Assams Hauptstadt Guwahati eine Werkstatt für handgemachte Möbel besitzt. Schuld daran seien die vier Papierfabriken, die im ganzen Nordosten die Wälder plünderten und nun auch die Bambusvorräte der Dorfbewohner aufkauften. Allein die staatliche Papiermühle von Nagaon in Assam verbraucht nach Angaben ihres Managers H.N. Barua täglich 100 Lastwagen voll trockener Bambusstangen, etwa 650 Tonnen. „Der Raubbau hat solche Ausmaße erreicht, daß sich viele Bestände nicht mehr regenerieren können, an einigen Orten verschwinden die ersten Arten“, warnt A.K. Goswami, Repräsentant des Naturschutzverbandes WWF in Guwahati.

Bambus ist das Holz der Armen. Wenn dem unkontrollierten Raubbau nicht bald Einhalt geboten wird, wird es dem Nordosten wie dem Rest des Landes ergehen. Vielerorts ist Bambus für die Armen unerschwinglich teuer geworden. Rainer Hörig